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Einen Tusch für Regina Fritsch

Sven-Eric Bechtolf

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
lieber Herr Intendant,
sehr geehrte Damen und Herren,

Liebste Regina, 


auf Wikipedia habe ich gelesen, dass Du früher eine Zeit lang als Fernlastfahrerin gearbeitet hast. 
Erstaunt hat mich das nicht. Obwohl Du heutzutage eher etwas, wie soll ich sagen, „Weihnachtsbäumisches“ an Dir hast. Also: prächtig dekoriert bist: 
Zweifache Nestroy-Preisträgerin, Alma-Seidler-Ringträgerin, Kammerschauspielerin, O.E. Hasse-Preisträgerin, Wiener Schauspielerringträgerin, etc. etc. Einen Tusch bitte!
Unter Belohnungsaspekten betrachtet war Dein Berufswechsel eine weise Entscheidung. Soviel ich weiß, sind Speditionen weitaus weniger freigiebig mit Preisen und Auszeichnungen als unsere Gilde. „Die goldene Zündkerze“ oder „der silberne Wagenheber 2. Klasse“ wird wahrscheinlich nur in Ausnahmefällen oder posthum verliehen.
Du hingegen hast schon zu Lebzeiten und vor allem in den letzten Jahren, endlos viel Gutes über Dich hören dürfen. 
Die Fernlastfahrerei dürfte Dir beim Abtransport all Deiner Trophäen wertvolle Dienste geleistet haben und Dein Verschleiß an Laudator*innen muss enorm gewesen sein. Ich finde, unter diesen Umständen, ist es nicht mehr als fair, wenn ich in den kommenden zehn Minuten vor allem über mich selbst spreche.

Regina Fritsch
© lukas beck
Sven-Eric Bechtolf, Regina Fritsch, Musicbanda Franui
Sven-Eric Bechtolf, Regina Fritsch, Musicbanda Franui
© lukas beck

Edeltraut Gottwald war vor vierundvierzig Jahren meine Sprecherzieherin auf der Schauspielschule. Sie lehrte mich, mit unerschütterlicher Geduld, bescheidene Kunststücke: „Abraham a Santa Clara“ oder „Um Ulm ufert der Urselbach,“ solche Sachen. Leider kommt der Urselbach in sehr wenigen Theaterstücken vor. Auch Fischersfritze spielt – wenn überhaupt – meist nur eine Nebenrolle. Außerhalb der Gottwald`schen Dressurakte nuschelte ich also weiter wie eh und je. Noch dazu sprach ich unerhört schnell, um mich möglichst rasch über die Klippen des zu Gestaltenden zu mogeln. Gegen solch innere Hast gab Prof. Dr. Bauer Entspannungsseminare. Unvergesslich seine, mit samtener Stimme vorgetragene Anordnung: „Atme bis zum Schambein.“ Ich hatte bis dahin nicht einmal gewusst, dass ich eines habe. Bei ihm hörte ich auch das erste Mal das Wort „Zwerchfell“, dass ich wegen des ominösen „Schambeins“ irgendwo weit unterhalb des Bauchnabels verortete. Heute bin ich klüger. Aber nicht viel. Denn wie man die Atemsäule auf diesem Zwerchfell platzieren und dann über die Stimmlippen in die Resonanzräume des Schädels schicken soll, ist mir bis jetzt ein Rätsel geblieben.
Versuchen Sie es mal.
Unter uns gesagt scheinen mir Stimmbildung und Logopädie keine ganz exakten Wissenschaften zu sein, sondern sind eher in der Grauzone des pädagogisch Vermittelbaren zu verorten.
Oder wie der Graf im Reigen sagt: „aus Büchern lernt man ja doch nie.“ Tusch!

Du bist eine moderne Schauspielerin – und herrlich altmodisch zu gleich. Du bist eine anmutige Komödiantin mit schmerzlicher Tiefe und heller Intelligenz.

Wie auch immer: Hätte Albin Skoda mich je auf dieser Bühne sprechen hören, wäre es ihm mit mir ergangen, wie es selbst mir gelegentlich mit jüngeren Kollegen und Kolleginnen an gleicher Stelle erging. Nicht nur wegen mangelhafter Artikulation, sondern wegen Ausdrucksschwäche. Gestaltungsscheu. Mangelnder Manier. Das bedeutet freilich nicht, dass er oder ich recht hätten – oder hatten. Das Theater und besonders die Sprache der Bühne, sind Kinder ihrer Zeit. Das gilt sogar für das Burgtheater. Es handelt sich also nicht um ein logopädisches, sondern um ein kulturelles Phänomen.
Nicht nur sind unsere Umgangsformen weit jenseits dessen, was unsere Großeltern als ‚salopp‘ bezeichnet hätten, unsere Zeit verleiht mit Bildern und immer weniger mit dem Klang und Inhalt von Worten ihren Anliegen Ausdruck. Manchmal denke ich, dass das innere Erleben von uns Heutigen der Größe, den Möglichkeiten des Wortes nicht mehr gewachsen ist, dass die Sprache an uns herunterhängt wie eine zu weite Hose, und dass es früher umgekehrt war. Damals war das rhetorische Beinkleid vielleicht zu eng und musste mit Pathos und Expressivität geweitet werden.
Die seelische Konfektionsgröße war seinerzeit eine andere.
Man kann das beklagen oder begrüßen, von der Hand weisen kann man es, glaube ich, nicht.
Das schlotternde Hosenbein ist unser Markenzeichen.
Von dieser Passform Abweichende, gelten bald als manieristisch, kulinarisch, eskapistisch, aber vor allem als bürgerlich, oder schlimmer, als elitär.


Wo wir schon bei zu groß und zu klein sind: Regina, auch der Ring ist passender Weise riesig! Solltest Du ihn tragen wollen, wirst Du ihn über zwei Finger streifen müssen. Mir erging es jedenfalls so; er lag daher während der letzten 10 Jahre in einem nicht sehr originellen Geheimversteck, nämlich hinter den Büchern und später im Bankschließfach.
Um Gerüchten vorzubeugen: Außer einem einzelnen Manschettenknopf und einem Gold-Dukaten, Prägung Wiener Philharmoniker, ist nichts darin. Sprecher*innen verdienen heutzutage lausig. Wenn überhaupt.
Vielleicht auch deshalb kommt es mir so vor, als begingen wir heute feierlich einen schönen Anachronismus.

Du hast allzeit Luft unter den Flügeln und bestimmst übermütig oder klug die Distanz zu Deinem Publikum. Du beherrschst Deinen Beruf, ohne von ihm beherrscht zu werden.

Wir ehren EINE besonders hervorragende Sprecherin des deutschen Sprachraumes. Und das bist Du, liebe Regina, zweifellos.
Du bist eine moderne Schauspielerin – und herrlich altmodisch zu gleich. Du bist eine anmutige Komödiantin mit schmerzlicher Tiefe und heller Intelligenz. Etwas Anarchisches umwittert überdies Deine gute Erziehung. Deine Amplituden schlagen weit in alle möglichen Richtungen aus. Du erfindest Stimmen, Sprechweisen und Farben wie kaum eine andere. Nie habe ich das Gefühl, Du würdest Dich selbst in Deiner Privatheit zu Markte tragen. Du hast allzeit Luft unter den Flügeln und bestimmst übermütig oder klug die Distanz zu Deinem Publikum. Du beherrschst Deinen Beruf, ohne von ihm beherrscht zu werden.
Achim Benning wusste schon 1985, dass Du alles spielen kannst. Das Publikum weiß es inzwischen auch.
Mit einem Wort: Du verdienst alle Deine Preise, Ringe und Orden. Ich bin sicher, es werden noch mehr! Tusch!


In diesem Zusammenhang aber noch eine kleine Anmerkung: Unser Beruf ist nicht durchgehend die reine Freude. Man vergisst es leicht, bei feierlichen Gelegenheiten wie dieser. Nicht nur seine unmittelbaren Herausforderungen sind komplex, mehr noch sind es die Bedingungen. Es ist ein Auslieferungsgewerbe.
Unsere Arbeitgeber wissen oft zu wenig von unserem Metier.
Der Begriff Ensemble meint meist nur: die anderen.
Unter unseren wichtigsten Partnern, den Regisseur*innen, gibt es – meiner Erfahrung nach – nur wenige, die in der Lage sind unseren beruflichen Horizont zu erweitern. Die uns besser machen können.
Unsere künstlerische Entwicklung, müssen wir meist eigenständig vorantreiben. Und sind dabei immer von der Außenwahrnehmung abhängig.
Überdies ist das Altern, mit dem wir besser werden, oder gar Meisterschaft erringen könnten, nicht unser Freund. Unser Metier ist jugendfixiert. Darunter haben vor allem Schauspielerinnen zu leiden. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass unsere Arbeit in Wasser geschrieben ist. Unsere Leistung überlebt nur solange sie andauert.
Wer wie Du diese Profession viele Jahrzehnte durchhält, verdient Anerkennung und Respekt, schon allein für die erforderliche Resilienz.
Auch aus diesem Grunde nimmt man jede Auszeichnung stellvertretend für die an, die sie nicht erhalten haben und vielleicht verdienten. Ich weiß, dass Du ähnlich darüber denkst wie ich.

Sven-Eric Bechtolf, Regina Fritsch,
Sven-Eric Bechtolf, Regina Fritsch,
© lukas beck

Liebe, verehrte Regina, ich danke Dir für viele gemeinsam erlebte Bühnenabenteuer und ich wünsche Dir und uns, dass noch viele, würdige Nachfolger und Nachfolger*innen den Albin-Skoda-Ring von Dir und voneinander erben werden.


Zum Schluss danke ich Dir, unvergesslicher Peter Matić, in die Wolken hinein, dass Du mich vor zehn Jahren für würdig erachtet hast, heute Deinen Ring an Regina weitergeben zu dürfen. Vielen Dank. Tusch. Musik.

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