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Apropos 1989

Anne Aschenbrenner und Rita Czapka

Am Abend des 9. November 1989 gehen an der deutsch-deutschen Grenze die ersten Schlagbäume hoch, die Mauer, Symbol der deutschen Teilung und des Kalten Krieges, fällt. Der Westen, so glaubt man, ist der Sieger der Geschichte.

Berlin 1989, Fall der Mauer
© Raphaël Thiémard - Berlin 1989, Fall der Mauer

Der seitdem vielzitierte Politikwissenschaftler Francis Fukuyama ruft 1992 das Ende der Geschichte aus: Der Weg wäre nun frei für eine liberale Demokratie. Nicht alle haben von der stark auf Wachstum, Entstaatlichung und Sozialabbau ausgerichteten Wirtschaftspolitik nach 1989 profitiert, betont der Historiker Philipp Ther in seinem jüngsten Buch "Das andere Ende der Geschichte": Das schürt Ängste, so Ther, und verweist in weiterer Folge auf die Zusammenhänge vom Aufstieg von rechter politischen Kräfte und neoliberaler Politik. In fünf Essays analysiert Philipp Ther in seinem Buch die Geschichte der letzten dreißig Jahre und spannt dabei einen Bogen von der Entwicklung der USA über die deutsche Wiedervereinigung und die italienische Dauerkrise, blickt nach Russland und in die Türkei. Seine Diagnose:  das seit 1989 entstandene Bedürfnis nach Schutz wird vor allem von den rechten Nationalisten bedient. Dabei warnt er:

"Heute, unter dem Eindruck immer neuer Rekorde bei den Jahres-, Monats- und Tagestemperaturen, müssen wir uns vor Augen führen, dass die Geschichte nicht nur weitergeht, sondern sich in eine irreversible Richtung bewegt. Angesichts dessen bedeutet der Aufstieg der Rechtspopulisten, deren Haltung zum Klimawandel nur allzu gut dokumentiert ist, vor allem eins: verlorene Zeit."

Philipp Ther ist am 7. Oktober der erste Gast der Wiener Philosophin Isolde Charim der monatlichen Gesprächsreihe APROPOS GEGENWART im Kasino am Schwarzenbergplatz. Wir haben vier Begriffe herausgesucht, die den Diskurs durchziehen. Was Philipp Ther dazu sagt? Lesen Sie rein und denken Sie mit!

HIER ZUM NACHHÖREN - Isolde Charim im Gespräch mit Philipp Ther
APROPOS GEGENWART - Der Podcast #1: Die große Transformation
  • Trumpismus 

    "Donald Trump hat den politischen Rollentausch der neunziger Jahre vollendet. Er gab 2016 vor, die Interessen der einfachen amerikanischen Arbeiter zu vertreten, und gewann damit die Wahlen in den Staaten des Rust Belt. Trumps zum Teil offener Rassismus ist gewissermaßen die Umkehrung der Rainbow Coalition. Statt des bunten Spektrums setzte er einfach auf die Farbe Weiß. Dass Trump die Staatskasse zugunsten der Reichen und nicht etwa der Armen plündert, werden seine Stammwähler irgendwann merken, vor allem aber seine Nachfolger, die nur noch geringen politischen Spielraum haben werden."

  • EINHEITSKRISE

    "Die damalige Krise (nach 1989, Anm.) war tief, bekam aber keinen eigenen Beinamen wie die Kosovokrise oder später die Eurokrise und die Flüchtlingskrise. Es wäre treffend, sie als Einheitskrise zu bezeichnen, denn sie hing unmittelbar damit zusammen, wie die deutsche Einheit vollzogen wurde. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall scheint es an der Zeit, die wirtschafts-politischen Entscheidungen des Jahres 1990 kritisch zu diskutieren."

  • GROSSE TRANSFORMATION

    "Man versteht die Welt besser, wenn man THE GREAT TRANSFORMATION von Karl Polanyi gelesen hat. Das Buch kann vor allem dabei helfen, den globalen Umbruch von 1989 und die nachfolgende Transformation, wie sie in den vergangenen dreißig Jahren definiert wurde, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und nicht kleinzureden, wie es in letzter Zeit in der deutschen Zeitgeschichte fast modisch geworden ist."


     

     

  • RECHTSPOPULISMUS

    "Für mich als Historiker ist bei den Rechtspopulisten ein kohärentes Weltbild erkennbar, das man als ein Bündel von Schutz- und Sicherheitsversprechen charakterisieren kann. Sie versprechen Schutz vor internationaler Konkurrenz in der Wirtschaft, daher die Wendung gegen den Freihandel, Schutz des heimischen Arbeitsmarkts vor ausländischer Konkurrenz, daher die Hetze gegen 'illegale Migranten', Schutz vor Kriminalität (obwohl diese seit Jahren sinkt) und Terror, der nur noch selten ohne den Zusatz 'islamisch' erwähnt wird, sowie die Bewahrung nationaler Werte und eines traditionellen Familienbilds mit einer klar festgelegten Rollenverteilung der Geschlechter. Insgesamt ist dieses Weltbild stringent illiberal." 

Buchcover: Das andere Ende der Geschichte von Philipp Ther
© Suhrkamp Verlag

DAS BUCH 

"Das andere Ende der Geschichte. Über die Große Transformation" von Philipp Ther. Suhrkamp 2019, 200 S., broschiert, €16,50 (A)

Leseprobe

 

 

Porträtfoto Philipp Ther
Philipp Ther
© Universität Wien, Barbara Mair

DER AUTOR

Philipp Ther wurde 1967 in Mittleberg im Kleinwalsertal geboren. Seine Vorfahren stammen aus Nordböhmen, von dort hätten sie sich in verschiedene Teile des Habsburger Reiches, nach Deutschland und ins Elsass ausgebreitet, erzählte Ther in einem Interview mit der ZEIT: sie wären keine klassischen Arbeitsmigranten gewesen, vielmehr "Migranten, die wirtschaftliche Gelegenheiten genutzt haben".

Seit 2010 ist Philipp Ther Professor für Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien, leitet dort auch das Research Cluster for Eastern Europe and the History of Transformations (RECET) und erforscht die Veränderungen des modernen Europas. Für seine Publikationen wurde er mit zahlreichen Preisen bedacht: für ETHNISCHE SÄUBERUNGEN IM MODERNEN EUROPA wurde er vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, für sein Buch DIE NEUE ORDNUNG AUF DEM ALTEN KONTINENT: EINE GESCHICHTE DES NEOLIBERALEN EUROPA (Suhrkamp 2014) erhielt den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse. Zuletzt, 2019, wurde er mit dem Wittgensteinpreis des österreichischen Wissenschaftsfonds ausgezeichnet. 

 

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