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Elfriede Jelinek

Vor zwanzig Jahren starb der Theatermacher und Universalkünstler Einar Schleef. Das gab dem Burgtheater Anlass zu einem zweitägigen Symposium über Schleefs Werk als Regisseur und Autor. Am 12. und 13. November versammelten sich dazu Wissenschaftler*innen, Weggefährt*innen und Künstler*innen im Kasino und stellten dem Publikum unter der Überschrift DAS KRAFTWERK ihre Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Werk vor. Das Burgtheater Magazin druckt hier die Grußbotschaft Elfriede Jelineks an die Teilnehmer*innen und das Publikum der Tagung ab. Die Lesung des Textes durch Elisabeth Augustin können Sie auf unserer Website, wenn Sie das Bild auf dieser Seite scannen. Schleefs Inszenierung von Jelineks EIN SPORTSTÜCK am Burgtheater (1998) gilt als legendärste Theaterarbeit des Künstlers. Schleef starb am 21. Juli 2001 während der Arbeit an der Uraufführung zu Jelineks Stück MACHT NICHTS.

Uraufführung Ein Sportstück von Elfriede Jelinek, Regie: Einar Schleef, Burgtheater 1998
© (c) Andreas Pohlmann

 

Ich sehe eine Gestalt aus Licht und Schatten, deren Züge nur sehr verschwommen erscheinen, es sind Züge, die fast abgefahren sind, das Signal dafür haben sie schon gehört. Es ist zuviel Sprache in sie hineingeladen worden, jetzt ziehen sie also mühsam an, ohne daß der Sprecher besonders einladend gewesen wäre. Man könnte auch sagen, die Sprache hat sich ihm aufgeladen. Was er auch getan hat, in seinem Zugabteil ist er aber allein geblieben und ganz allein gestorben, einer wie keiner auch inmitten riesiger Chor-Versammlungen, die sich abmühten zu tun, was er wollte. Er hat unaufhörlich Worte gesucht, sie auszusprechen war dann schwierig für ihn, er hat gestottert. Mit tänzerischen, schwungholenden Bewegungen der Arme hat er sich ins Sprechen gebracht, einen Rhythmus geholt, auf dessen Rücken, den ich mir als eine Art endlosen Wellenkamm aus Schwingungen vorstelle, er die Sprache seiner großen Monologe ins Ziel bringen konnte. Indem er sich selbst in seine eigene Schwingung versetzt hat, nicht: einfach mitgeschwungen ist. Er mußte sich erst mit diesen Bewegungen auf den Rücken dieses Tiers aus Sprache, das eh nicht gern jemanden trägt, förmlich hinaufschwingen. Es ist schon ein Glück, wenn man sich dort ein bißchen halten kann, bevor man runterfällt. Das ist kein Wanderweg, nichts zum Herumspazieren, aber Schleef, der eine Woche vor der Aufführung meines Stücks MACHT NICHTS den Monolog des Wanderers, meines Vaters, gesprochen hat, und nach dem Sprechen an die Wand getaumelt ist, hat mein Stück dann nicht mehr über die Ziellinie bringen können, so wie mein Vater die Ziellinie seines Lebens nicht mehr erreicht hat und im Irrenhaus am Steinhof gestorben ist, auch allein.

Für Schleef war dieser Tritt auf den Saum der Sprache ein Zeichen seiner Allmacht über sie, ohne daß er sich dazu je selbst ermächtigt hätte.

Also war dieses Zusammensinken Schleefs, der das Leben meines Vaters im Monolog “Der Wanderer” gesprochen hat, so wie ich es halt darstellen konnte, gleichzeitig auch ein vorzeitiges Beenden. Da blieb aber noch etwas in der Luft hängen, bis heute. Manchmal schaue ich, ob es noch da ist. Ich fasse es nicht. Es ist nicht zu fassen. Ein letzter Atemzug wurde einmal, später, ausgestoßen, vielleicht weil man ihn nicht mehr bei sich behalten wollte. Die Steinhofgründe sind heute ein beliebter Spazier- und Wanderort, für meinen dauernd wandernden Vater waren sie eine Begrenzung, die er nicht mehr übersteigen konnte. Und für Schleef, der so oft auf den Saum der Sprache gestiegen war, sodaß sie widerwillig stehenbleiben mußte, weil der Regisseur, der oft selbst darstellte, was er dem Publikum dann darbrachte, dieser Sprache inzwischen vorausgeeilt war, wurde sie der einzig mögliche Wegweiser, den ihm keiner verrücken durfte. Er hat sich immer wieder nach ihr umgedreht und sie in sich aufgenommen, um sie als etwas Verwandeltes wieder auszustoßen wie den eigenen Atem. Und so konnte er sie beliebig anhalten oder beschleunigen, ganz wie er wollte. Es ist alles im Text, hat er immer gesagt. Für Schleef war dieser Tritt auf den Saum der Sprache ein Zeichen seiner Allmacht über sie, ohne daß er sich dazu je selbst ermächtigt hätte. So. Und dann reißt sich das Sprachkleid zu den Tritten der Sänger und Tänzer schon wieder los, Achtung, sie kommen! Das Kleid wird von der Luft ihres Sprechens gefüllt, und da gehen sie hin, in ihrem eigenen Rhythmus, und tanzen und stampfen und sagen Worte, die selbst wieder von nichts als diesem Atem getragen werden, aus dem sie bestehen. 

Es war nicht ich, die Schreiberin, die Anspruch auf das Sprechen erheben hätte können, ich habe sie ihm ausgehändigt, und er selbst war sie, diese Sprache, ob er nun selbst gesprochen oder andre hat sprechen lassen, und er war so freundlich, sie auf seiner Fahrt ein Stück, ja, ein Stück paßt hier genau (eine Fahrt war auch sein Unglück, als er aus dem Zug stürzte, und bei meinem Stück war es, wie man hier sagt: letzte Eisenbahn. Sie hat die Station nicht mehr erreicht), ein Stück mitzunehmen. Bis er zu dieser Wand taumelte und sich gegen sie stützte, aber da hätte er als Stütze schon etwas Härteres als seinen Atem gebraucht. Ich danke vielmals, daß wieder einmal über ihn, den großen Sprecher, den atmenden Berg, den atmenden Wald, den Wal mit seiner Fontäne aus Luft, die er da ausstößt, gesprochen wird. 

Elfriede Jelinek, 2021, c/o Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

  Elfriede Jelinek

(*1946 in Mürzzuschlag) ist Schriftstellerin. Im Jahr 2004 erhielt sie den Literaturnobelpreis.

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