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Editorial #1

Das erste Editorial aus dem ersten Magazin.

Die Kunst, miteinander Theater zu machen, ließe sich auch als die Kunst beschreiben, immerzu und immer wieder neu zu übersetzen, in einer nicht zu vollendenden Bewegung — übersetzen freilich in einem weit gefassten Sinne: Text in Aktion, Musik in Bewegung, Gedanken in Bilder und Räume, Realität in Fiktion, Geschichte in Drama, Politik in Geschichten, diese Sprache in jene Sprache. Und umgekehrt. Und natürlich übersetzt die Theaterkunst immer auch zwischen den Lebenden und den Toten, so wie der alte Fährmann Charon mit seinem Kahn zwischen Diesseits und Jenseits verkehrt und die Verstorbenen aus der Welt in die Unterwelt „übersetzt“. Schauspieler*innen vermitteln zwischen dem Hier und dem Dort, dem Anwesenden und dem Abwesenden, zwischen dem Jetzt, dem Damals und dem Zukünftigen, zwischen dem Unbekannten und dem Vertrauten. Die Bühne ist wesensmäßig ein Zwischenreich. Von dort wissen sie zu erzählen.
„Was man übersetzen kann, ist des Übersetzens nicht wert.“ Mit diesem paradoxen Wort stellt uns der Dichter Jean Paul vor eine unmögliche Aufgabe. Denn kehren wir seine Aussage um, werden wir zum erwartungsvollen Sisyphos am Fuße des Berges, vor uns der Stein, die nicht zu knackende Nuss: Nur das Unübersetzbare ist es wert, übersetzt zu werden. Das ist keine schlechte Definition für die Berufung der Künstler*innen, sich dem Augenblick, in dem Theater stattfindet, immer wieder aufs Neue zu stellen —  getrieben vom Wunsch, sich Neuem und Unbekanntem auszusetzen und in Dialog zu treten mit Menschen, Sprachen und Phänomenen, die anders sind. Und was wäre dringlicher, als diese Mühe lustvoll auf sich zu nehmen — gerade jetzt, wo die Welt sich lieber voreinander in analogen und digitalen Filterblasen verkapselt? Im Finnischen gibt es das Wort SISU 1 , das als unübersetzbar gilt, aber mit „Kraft“, „Beharrlichkeit“ und „Unnachgiebigkeit“ in aussichtslosen Situationen wiedergegeben wird.
Das Burgtheater ist sein Ensemble: 72 Menschen, von denen zu Beginn der Spielzeit viele neu oder aufs Neue ans Haus engagiert und nach Wien übersiedelt sind, übergesetzt sind, zum Teil aus anderen Sprachräumen, in denen Isländisch, Hebräisch, Ukrainisch, Ungarisch oder Niederländisch gesprochen wird, aber auch andere Dialekte des Deutschen. Viele der 
 Ensembleschauspieler*innen sind mehrsprachig und vereinen in sich kulturelle Einflüsse aus der ganzen Welt, wie die Interviews in dieser ersten Ausgabe des Burgtheater Magazins 2019/20 eindrücklich zeigen. Wie kann man nun gemeinsam ein Theater der fortwährenden Übersetzung neu beginnen? Ein Theater, das zwischen den Dingen und Sprachen spielt — und das nie nur an einem Ufer des Flusses festmacht?


Burgtheater, Wien, Europa

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Burgtheater Magazin #1: Unser Ensemble

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