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„Damit etwas kommt, muss etwas gehen!“

Anlässlich des Jubiläums zu 100 Jahre Kärntner Volksabstimmung fand im Burgtheater eine Matinee statt: WIE VIEL ZUKUNFT HAT UNSERE VERGANGENHEIT?
„100 JAHRE KÄRNTNER VOLKSABSTIMMUNG“ – DAS BURGTHEATER STELLT IN FRAGE. Die sehr persönliche Keynote, die Martin Kušej der Podiumsdiskussion voranstellte, können Sie hier nachlesen.

 

Mit meiner Keynote zur Eröffnung dieser Diskussionsrunde möchte ich einen Ball ins Spiel werfen, der eine sehr persönliche, subjektive Utopie formuliert und diesem Spiel damit vielleicht einen spin verleihen, der unser aller Eintracht zu dem Thema irritiert oder in Frage stellt.

Es wird notwendig sein, gewisse Reflexe zu unterdrücken, die – seit hunderten Jahren eingeübt – dazu führen, dass man sich zurückhält, weg duckt und die Mehrheit gewähren lässt.

Man mag sich fragen, wo in dieser heute hier anwesenden Runde eigentlich die „Gegenstimmen“, die „Widerredner“ sind – und verkennt dabei die Absicht der Veranstaltung. Wir wollen und werden hier nicht sehr viel über den status quo der österreichischen Minderheitenpolitik sprechen; wir werden nicht, wie seit hundert Jahren, drängend auf unsere Rechte hinweisen; wir werden wohl auch nicht die Entschuldigung einfordern, die uns längt zustünde und die man uns nach wie vor nie gegeben hat. 
Nein, hier sitzen Menschen der Wissenschaft und der Kunst – und wie ich eingangs erwähnt habe, sollen im Burgtheater die Sprache und die Kultur als das menschlich Essentielle verhandelt werden. Und als solche sind wir alle „Widerredner“ – weil alles, was erreicht wurde, alles, was man als „Konsens“ bezeichnen könnte, alles, was sich fraglos entwickelt und verbessert hat, noch immer nicht ausreichend, nicht gut genug, nicht zufriedenstellend ist.

DAS ist es, was ich suche und von dem ich glaube, dass es für uns alle gilt: Unsere „Zufriedenheit“, unser „Okay“, unsere freiwillige Zustimmung und Handreichung ist es, die nötig ist und die für die folgenden einhundert Jahre den Bestand der Sprache und der Kultur der Kärntner Sloweninnen und Slowenen sichert. 

Diese in fast 60 Jahren zusammengekleisterte Identität, auf die ich stolz bin und die mir Halt, Bedeutung gibt. Sie verschwindet, brennend, schmerzhaft, weil ich sie nicht mehr brauchen möchte

Dazu wird es nötig sein, gewisse Reflexe zu unterdrücken, die – seit hunderten Jahren eingeübt – dazu führen, dass man sich zurückhält, weg duckt und die Mehrheit gewähren lässt. Mehr noch: um diese Volksgruppe, die sich in viele Einzel-Teile aufsplittert, herauszuholen aus dem Jammertal, aus der Einigelung, aus der nationalistischen Ecke, aus dem linken Lager und aus der christlichen Selbstbeweihräucherung, muss man direkt an die Frage der Identität herangehen. Dieser unantastbare, unverrückbare „Zustand des Erinnerns“, als der sich unsere Identität seit jeher präsentiert, sollte gerade jetzt neu befragt werden – vielleicht von jemandem wie mir, der keinem „Lager“ und keiner „Ecke“ zuordenbar ist.

Die Idee von einem „Neuen Kärnten“ löst zunächst ein Erschrecken aus. „Damit etwas kommt, muss etwas gehen!“, schrieb der Dichter Heiner Müller. Deshalb ist die erste Gestalt des Neuen (Kärnten) für mich der fast quälende Prozess des Vergessens und der Auslöschung. Und irgendwann wird der Gedanke dann kühn, weil er ohne Alternative ist. Ich werde die ganze Geschichte und Tradition dieser Landschaft nicht mehr mit mir herumtragen. Hunderte Jahre des Blutes, der Ohnmacht, der Verzweiflung und Täuschung haben mich, haben uns alle „gemacht“, genauso wie der Verrat, die Verachtung, die Überlegenheit und der selbstgewisse Stolz derer, die die Macht innehatten, uns „gemacht“ haben. Wir haben uns gegenseitig bedingt und geprägt, waren Teile einer großen historischen Maschine, gleichzeitig ihr Treibstoff und ihr Sand im Getriebe. Damit ist jetzt Schluss. Ich möchte derjenige sein, der diese Maschine in einen Graben hat stürzen lassen und ich möchte oben stehen und auf ihre rauchenden Trümmer blicken. Abwehrkampf, Volksabstimmung, Nazis, Partisanen, Kirche, Sprache, Ortstafeln, Vereine, Fahnen, Ulrichsberg – alles plötzlich vergessen und genauso verloren wie slovenski materni jezik, člen 7, Peršman, samorastniki, Immer noch Sturm, še vedno vihar, und vor allem mein eigenes Selbst. Diese in fast 60 Jahren zusammengekleisterte Identität, auf die ich stolz bin und die mir Halt, Bedeutung gibt. Sie verschwindet, brennend, schmerzhaft, weil ich sie nicht mehr brauchen möchte. Es ist ein Schock, der meine Substanz anfasst. Ich schwanke, muss tief Luft holen. Und es ist plötzlich Platz da für etwas Neues. Platz für mich in einer neuen Landschaft. Für viele vielleicht. Für alle, die verstanden haben, dass dieses „Verlöschen“, das Opfern unserer Geschichte, unserer Vergangenheit die wirkliche Form unserer Zukunft ist. „Mit dem Schrecken davon gekommen“, ein guter Satz für mich jedenfalls. Einmal so etwas denken, das hat schon was!  

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen eine angeregte und interessante Diskussion!

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