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"Die Fiktion wird immer zur Realität"

Der Autor und Journalist Mark O’Connell hat mit "Unsterblich sein" ein Buch über den Transhumanismus geschrieben, welches als literarische Vorlage für die Kasino-Produktion DIE MASCHINE IN MIR (Version 1.0) diente. Vor der Premiere haben wir uns mit ihm unterhalten.

Porträt Mark O‘Connell
© Rich Gilligan
Lieber Mark O’Connell, wie würden Sie einer Person, die noch nie davon gehört hat, den Transhumanismus erklären?

Es handelt sich um eine Bewegung, die in der Tech-Welt sehr populär ist und deren Anhänger*innen glauben, dass die nächste Stufe der menschlichen Evolution deren Verschmelzung mit der Technologie bedeutet. Ihr Ziel ist es, uns von den verschiedenen Schwächen und Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins zu befreien. Sie ist sehr populär im Silicon Valley – mit einigen sehr prominenten Verfechtern wie Peter Thiel, Elon Musk und Ray Kurzweil –, hat aber Anhänger*innen auf der ganzen Welt.

Wie kam es dazu, dass Sie sich über so viele Jahre mit dieser Bewegung beschäftigten?

Ich war nie Teil davon. Meine Verbindung mit der Bewegung war die eines Schriftstellers zu einem Thema. Es waren mehrere Aspekte, die mich zu diesem Thema hingezogen haben. Zuerst die schiere Seltsamkeit: Die Idee dieser Menschen, die davon überzeugt waren, dass wir danach streben sollten, unsterbliche Maschinen zu werden, und von denen einige ihr Leben diesem Ziel widmeten. Zweitens bot das Thema einen Anlass, um über tiefere und philosophischere Fragen zu schreiben. Es war eine „Extreme Metaphor“, um den Begriff von J.G. Ballard zu gebrauchen, die einen Weg eröffnet für alle Arten von faszinierenden und schrägen Annäherungen an Themen, über die ich schreiben wollte – Kapitalismus, der Schrecken des Todes und der tiefe, fast religiöse Glaube an die Technologie, der diese beiden Themen miteinander verbindet. Drittens barg es Potenzial für eine mannigfaltige menschliche Komödie in sich – etwas, das das ganze Milieu des Transhumanismus in Hülle und Fülle bot.

 

Eine Sache, die für den Transhumanismus spricht, ist sein Mangel an Zynismus.
Beim Lesen des Buches schwankt man zwischen Skepsis, Ablehnung und Faszination. Kann man, sollte man das alles ernst nehmen? Ist alles ein großer Bluff? Hat sich Ihr Verhältnis zum Transhumanismus im Laufe der Zeit verändert?

Ich bin geneigt, ihn ernst zu nehmen, aber nicht unter den Bedingungen, die sich die Transhumanist*innen vielleicht selber wünschen. Ich glaube nicht, dass die Singularität eine reale und buchstäbliche Perspektive eröffnet, aber ich denke, sie drückt tiefgründig die Sehnsucht aus, die „conditio humana“ zu transzendieren. Als solches ist es absolut ernst zu nehmen. Es ist auch bezeichnend, dass all die mächtigen Tech-Milliardär*innen da draußen versuchen, Wege zu finden, um ihre eigene Unsterblichkeit sicher zu stellen.

Ist dies der Grund dafür, dass so viele finanzkräftige, einflussreiche Menschen den Transhumanismus befürworten?

Ich zitiere in meinem Buch Peter Thiel, der sagt, dass die schwerwiegendste Form der Ungleichheit die zwischen den Lebenden und den Toten ist. Das erzählt viel darüber, woher Leute wie Thiel kommen. Das alltägliche Leid und die Verarmung eines Großteils der Welt ist weniger bedenklich für sie als die Tatsache, dass Menschen sterben. Und der Grund dafür ist natürlich, dass Peter Thiel selbst einer dieser Menschen ist. Der Tod ist der große Gleichmacher, das Ding, das am Ende den Unterschied zwischen einem milliardenschweren Philosophenkönig des Silicon Valley und dem Rest der Menschen beseitigt. Deshalb muss er besiegt werden. Das ist die eine Sichtweise. Eine andere ist die, dass diese Leute zu viel Geld haben und ihr Vermögen umverteilt werden sollte, um echte Probleme zu lindern.

Würden Sie Transhumanist*innen als wissenschaftliche Visionär*innen bezeichnen? 

Ich glaube nicht, dass Leute, die explizit auf eine radikale Lebensverlängerung abzielen, wirklich an der Spitze der medizinischen Wissenschaft stehen. Es gibt echte Visionär*innen, die in der medizinischen Wissenschaft arbeiten, und in der künstlichen Intelligenz und so weiter, aber es ist schwer zu sagen, wie viele von ihnen durch transhumanistische Ziele motiviert sind.

Ihre Forschung basiert weitgehend auf Vorhersagen, doch offensichtlich gehört die realistische Einschätzung der Zukunft nicht zu den Stärken der Menschheit.

Transhumanist*innen lieben es, Vorhersagen zu machen, das stimmt. Man könnte argumentieren, dass vieles am Transhumanismus zum Genre der Science-Fiction gehört. Ray Kurzweils Idee der Singularität ist zum Teil Science-Fiction, zum Teil religiöse Prophezeiung. Wie uns die Ereignisse dieses Jahres gezeigt haben, haben wir nicht einmal eine Ahnung, was die kurzfristige Zukunft bringen wird, geschweige denn die langfristige; es liegt ein gewisser Trost in zuversichtlichen Aussagen darüber, was die Zukunft bringen wird.

Gibt es eine zufriedenstellende transhumanistische Erklärung dafür, warum Menschen unsterblich sein sollten?

Das überzeugendste Argument für die Unsterblichkeit, das ich von den Transhumanist*innen gehört habe, ist auch jenes, das mich emotional am meisten berührt hat: Dass die Aussicht auf die Zukunft eine aufregende ist und erfüllt von technologischen Wundern, dass es zu traurig wäre, sie zu verpassen. Das ist eine Art von Zukunftsoptimismus, die ich persönlich nicht teile, aber ich finde sie auf eine seltsame Art schön. Eine Sache, die für den Transhumanismus spricht, so denke ich oft, ist sein Mangel an Zynismus.

Wie kommt es, dass wir Menschen ein so problematisches Verhältnis zu unseren Körpern haben?

Nun, unser Körper – oder besser gesagt, „unser Selbst“ – hat die Tendenz, uns zu betrügen. Obwohl ich der Bewegung in meinem Buch oft kritisch gegenüberstehe, vor allem, wenn es um ihre implizite Politik geht, kann ich mich persönlich ziemlich gut mit den Ängsten und Sehnsüchten identifizieren, die ihr zugrunde liegen. Ich meine, wer kann schon von sich behaupten, dass er mit der „conditio humana“ vollkommen zufrieden ist. Der Tod, was auch immer man sonst darüber sagen kann, ist ein bisschen eine Sorge. 

Das Thema der Unsterblichkeit ist seit Beginn unserer Zivilisation ein Thema in der Kunst. Wird die Fiktion nun zur Realität? Oder wünschen wir uns das nur?

Das ist eines der Hauptthemen des Buches – und, wie ich annehme, meiner Arbeit im Allgemeinen: die Art und Weise, wie Fiktion und Realität ineinandergreifen. So viele der Ideen des Transhumanismus – Unsterblichkeit, übermenschliche künstliche Intelligenz, Mensch-Maschine-Hybride und so weiter – sind seit Jahrzehnten Grundpfeiler der Science-Fiction und, in etwas anderer Form, seit Jahrhunderten der Mythologie. In gewisser Weise wird diese Fiktion zur Realität, aber das ist immer schon so gewesen. Die Fiktion wird immer zur Realität. Auf die Gefahr hin, wie die Karikatur eines Postmodernisten zu klingen, ist die Realität selbst fast vollständig aus Fiktion gemacht.

Unabhängig von den Transhumanist*innen fragt man sich, ob die Wissenschaft nicht zu unserer Religion geworden ist. 

In gewisser Weise ist das wohl richtig. Zumindest in dem Sinne, dass die Wissenschaft tendenziell der Ort ist, an dem die Menschen nach Antworten suchen. Aber die Wissenschaft kann uns nur Informationen geben, keine Bedeutung. Die Wissenschaft scheint mir auf ein chaotisches, entropisches und im Grunde bedeutungsloses Universum hinzuweisen. Das ist der Punkt, an dem die Religion immer ins Spiel kam und immer noch kommt.

Was ist der eigentliche Antrieb der Transhumanist*innen? Die Angst vor dem Tod?

Ja, unser alter Freund, die Angst vor dem Tod, ist die Wurzel von allem. Das ist eine Sache, die der Transhumanismus mit der Religion gemeinsam zu haben scheint – es ist wohl der Grund für das meiste, das die Menschen so anstellen. 

Hat Sie die Arbeit an dem Buch im Nachhinein dazu bewegt, anders über das Thema Sterblichkeit zu denken?

Nicht wirklich. Meine Einstellung zum Sterben ist: Ich bin dagegen. Meine Einstellung zur Unsterblichkeit: Da bin ich noch mehr dagegen.

Wie haben die porträtierten Menschen auf Ihr Buch reagiert?

Die meisten von ihnen, zumindest die, von denen ich gehört habe, schienen grundsätzlich einverstanden zu sein. Die Leute, von denen ich nichts gehört habe, waren vermutlich nicht so wohlgesonnen. Aber ich verstehe es. Es kann eine seltsame und entfremdende Erfahrung sein, wenn über einen geschrieben wird – ein bisschen so, als würde man sich selbst von einem Schauspieler porträtiert sehen, der eine fremde Sprache spricht!

 

Mark O‘Connell, in Dublin geboren, ist promovierter Literaturwissenschaftler und Journalist. Er schreibt für Slate, den New Yorker, die New York Times und The Guardian. Für sein 2017 erschienenes Buch „To be a machine - Unsterblich sein“ wurde er mit dem Welcome Book Prize und dem Rooney Prize for Irish Literature ausgezeichnet und ist im Hanser Verlag erschienen. Sein jüngstes Werk „Notes from an Apocalypse“ ist 2020 erschienen. 

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