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Friedensappell von Tanja Maljartschuk

  vorgetragen am 13. März 2022 im Rahmen der Benefizveranstaltung "DER MENSCH IST GRÖSSER ALS DER KRIEG" im Burgtheater:
Tanja Maljartschuk
Tanja Maljartschuk
© Nikolaus Ostermann

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe die Ehre heute ein paar Worte zu Ihnen zu sagen, nachdem mein Text MEHR ALS EINER, den ich vor acht Jahren geschrieben habe, von den wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspieler des Burgtheaters vorgetragen wurde. Sozusagen aus heutiger Sicht, aus dem Jahr 2022. Als Ukrainerin fallen mir Worte gerade sehr schwer. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, die richtigen zu finden. Und was sind die richtigen Worte in Zeiten des Krieges?

Ich bin aufgewachsen mit einer Melancholie im Herzen, Melancholie eines ewigen Opfers, eines Opfers, das nur in den schönen traurigen Liedern existieren darf. Das erste, was ich als Kind gelernt habe, war ein Gedicht, das meine Großmutter stets rezitierte, sie war Analphabetin, kannte aber ein paar Gedichte auswendig, keine Ahnung woher. Sie melkte ihre Kühe und ich, damals vielleicht drei Jahre alt, lag im Stroh und bat sie etwas zu erzählen. Und meine Oma erzähle immer das Gleiche. Eben diese Zeilen, die ich seit zwei Wochen nicht aus dem Kopf bekomme:

Горіхове сідалечко, і кінь вороненький, 
ой поїхав з сього села козак молоденький. 
А як їхав з сього села, низенько вклонився: 
Прощавайте громадоньки, буду за вас бився. 
Горіхове сідалечко, і в коня густа грива. 
Ой поїхав козаченько, дорога йому щаслива. 

Ich habe diese Zeilen für Sie übersetzt:

Ein Sattel aus Nussholz, ein rabenschwarzes Pferd.
In den Krieg geht ein Junge aus unserem Dor.
Und bevor er in den Krieg zieht, kniete er sich nieder:
ich werde für euch kämpfen, lebt wohl, meine Lieben.
Ein Sattel aus Nussholz, das Pferd hat eine dichte Mähne.
Fort ist der Junge. Möge sein Weg glücklich enden.

Ich nehme an, dieser Junge kehrte nie mehr zurück. Die Ukrainer haben gut gelernt, zu scheitern und zu sterben. Sie haben so oft ihre Freiheit verloren und jedes Mal standen sie vor dem Abgrund und einer erneuten physischen Vernichtung. So oft wurden sie getötet, nur weil sie ukrainisch sprachen und einen anderen Weg gehen, nicht in einem großrussischen Imperium gefangen sein wollten.  
Seit 1991 ist die Ukraine unabhängig, aber längst nicht wirklich frei. 2004 und 2014 sind sie gegen ein autoritäres Regime aufgestanden, das sich im Land eingenistet hatte, aufgestanden und haben letztendlich einen hohen Preis bezahlt, aber gewonnen. So ist es, ganz einfach. Jetzt kämpfen sie gegen das autoritäre Regime des Nachbarlandes und gegen den Autoritarismus in dieser Welt.
Ich sehe wie mutig meine Freunde, meine Landsleute in dem Moment einem viel mächtigeren Aggressor widerstehen, wie heldenhaft sie kämpfen, und verstehe: das sind keine gebrochen und ängstlichen Menschen mehr, keine Opfer mehr, wie es die Ukrainer in ihrer dunklen Geschichte so oft waren, sondern eine Zivilgesellschaft, die sich verteidigen kann und will. Die Ukrainer wissen ganz genau, um was es geht.

Wissen wir es?

Vielleicht können wir in dem Augenblick von den Ukrainern auch etwas lernen? Jedenfalls müssen wir sie nicht bemitleiden.
Die Ukraine, mein Land, braucht nicht nur Mitleid, sondern vor allem Hilfe und Unterstützung.

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