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Nachgefragt bei: Tina Lanik & Sabine Haupt

Über Feminismus, Plot & Probenprozess von HIMMELSZELT

Dietmar König, Ensemble
© Marcella Ruiz Cruz

Was macht DAS HIMMELSZELT so besonders am Spielplan?

Tina Lanik: In dem Stück DAS HIMMELSZELT von Lucy Kirkwood geht es um ein Geschworenengericht. Das Besondere im Vergleich zu der Situation, die man aus dem Film „Die zwölf Geschworenen“ kennt ist, dass es nur Frauen sind, ein Müttergericht sozusagen. Das Stück spielt 1759 in England, und die Frauen, die da versammelt sind, sollen herausfinden, ob eine verurteilte Mörderin schwanger ist oder nicht. Damals gab es noch keine technischen Hilfsmittel, dieses Urteil war am Anfang der Schwangerschaft war also noch gar nicht so leicht zu fällen. 
Dieses Grundgerüst des Plots ist schnell erzählt. Außergewöhnlich ist, dass im Stück eine große weibliche Besetzung spielt und nur zwei männliche Figuren vorkommen. Das gibt es nicht oft und vor allem nicht in dieser Bandbreite. Die Jüngste ist 12 und es geht bis ganz nach oben, fast Ende 70. Das heißt, in der Produktion versammeln sich ganz unterschiedliche Generationen von Frauen, das ist ein ganz außergewöhnlicher Probenprozess für uns alle.

Sabine Haupt: Sehr außergewöhnlich! Und sehr traurig! Es ist leider immer noch außergewöhnlich, dass viele Frauen gemeinsam an einem schöpferischen Prozess arbeiten dürfen. Für mich ist unter anderem an HIMMELSZELT besonders, dass ein von einer jungen Autorin raffiniert geschriebener Thriller unsere Themen, die Themen, die uns Frauen betreffen, behandelt.

Tina Lanik: … und über diese Themen wird eben auch auf der Bühne gesprochen – über Geburt, Mutterschaft, Menstruation, Dammriss, Wechseljahre, es bleibt kein Sujet unberührt. Diese Frauen in HIMMELSZELT erleben das erste Mal, dass sie eine Stimme haben – und der einzige Mann im Raum darf nicht reden. Er darf nur dabei stehen und warten, bis die Damen ihr Urteil gefällt haben. Es dreht sich für sie erstmals etwas um: sie sind miteinander in einem geschützten Raum, in dem sie sich über diese Dinge offen austauschen können. Das hat sich dann von den Proben ins Private gezogen. Wir haben eine sehr spannende WhatsApp-Gruppe, in der wir parallel zum Probenprozess diskutiert haben.

Welche Themen habt ihr aus der Arbeit an HIMMELSZELT in euren Chats aufgefriffen?


Sabine Haupt: Es sind feministische Themen, die uns auch als Arbeitende in unserem Bereich immer wieder umtreiben. Ob in einer Regieposition oder als Spielerinnen. Man fragt sich immer wieder, gerade in der heutigen Zeit und vor dem Hintergrund von #metoo, warum sich immer noch zu wenig verändert in die richtige Richtung. Wir haben unter anderem über Quoten gesprochen und warum es nicht längst selbstverständlich ist, gleich viele Männer wie Frauen im Ensemble zu haben. Warum Männer und Frauen immer noch nicht gleich bezahlt werden. Warum man nicht endlich die Dinge verändet und sich dadurch dann Perspektiven verändern.

Tina Lanik: Das ist auch die These der Autorin von HIMMELSZELT, Lucy Kirkwood: Frauen müssen die Verantwortung übernehmen, im Stück wie im Leben, und müssen damit umgehen können, ihre Stimme finden. Wir haben auch für uns festgestellt, dass es in unseren Generationen, heute, noch hapert. Das Stück spielt in einer ganz anderen Zeit. Ich finde das als Dreh ganz toll, weil es uns den Spiegel vorhält. Natürlich leben wir heute anders als diese Frauen damals, aber es gibt bei vielen Themen noch immer einen großen Nachholbedarf. In HIMMELSZELT stehen eben nicht nur viele Frauen auf der Bühne, es ist auch von einer Frau geschrieben...

Sabine Haupt: Und auch das ist außergewöhnlich. Diese weibliche Perspektive, die nun mal die Hälfte der Menschen repräsentiert, fehlt mir oft grundsätzlich. Wenn man sich die Frauenfiguren der Theaterliteratur anschaut, der Klassikerkanon ist von Männern geschrieben, stets eine männliche Perspektive auf die Frau, meist von männlichen Regisseuren in Szene gesetzt. Es ist auch in unserer Verantwortung …

Tina Lanik: …als Frauen in der Gesellschaft und im Theater, dass wir diese „anderen“ Perspektiven, die es selbstverständlich gibt, einfordern. Nur immer darauf zu verweisen, dass es nicht genug Stücke oder Rollen gibt, ist zu wenig. Dann muss man sie halt schaffen, erfinden oder schreiben. Es betrifft natürlich nicht nur Frauen, das betrifft auch Internationalität, Pluralität, Diversität. Diese Themen wurden lange ausgeklammert im Theater, aber da ändert sich jetzt langsam aber sicher etwas. Ich denke je reicher und diverser Theater ist, desto besser ist es für uns alle! Und bildet es  auch viel mehr die Realität ab.

Tina Lanik
Tina Lanik
© Lukas Beck

HIMMELSZELT spielt 1756, Trotzdem finden sich soviele aktuelle Themen darin verwoben?

Sabine Haupt: Das finde ich so toll an der Autorin. Sie schafft den Spagat zwischen Historie und Aktualität. Man hat immer das Gefühl, DAS HIMMELSZELT ist ein modernes Stück.

Tina Lanik: Wir haben zwar historische Kostüme, aber man vergisst die Zeit irgendwann total, zumindest geht es mir so und den Zuschauer*innen hoffentlich auch. Die zeitliche Einordnung ist am Anfang insofern wichtig, als dass es damals noch keine Instrumentarien gab, mit der man eine Schwangerschaft von Angeklagten eindeutig feststellen konnte – das ist die Ausgangsituation. Im Laufe des Stücks ist es dann gar nicht mehr Thema, in welcher Epoche es spielt. Das ist die Qualität von HIMMELSZELT. Als ich das Stück das erste Mal gelesen habe, dachte ich gleich – das ist interessant! Die zeitliche Ebene ist wichtig, aber andererseits auch völlig unwichtig. Tatsächlich hat die Autorin selbst ein paar Verweise auf unser Heute hineingeschrieben. Es ist dann ein bisschen wie in diesen Rätselbildern, die es in den Zeitungen gibt: "“Suchen Sie den Fehler.“ Das macht Kirkwood ganz pointiert. Wir haben das an ein paar Stellen weitergezogen: In diesem Bild stimmt etwas nicht. Die Autorin hat schon stark daran gearbeitet, dass man ihr Stück nicht einfach in eine historische Ecke schieben kann. Sie hat es ganz bewusst mit dem Heute verknüpft.

Tina Lanik und Sabine Haupt im Gespräch

Auf der Bühne stehen vor allem nicht nur 13 frauen, sondern vor allem mehrere generationen von Frauen....

Tina Lanik: Stimmt und ich fand es total interessant, dass uns alle die gleichen Probleme umtreiben. Egal ob Mitte 20 oder Mitte 60, dieses Gefühl von: wir als Frauen sind immer noch nicht genug im Fokus, da ist noch immer Nachholbedarf. Das zieht sich durch alle Generationen. Wir [Sabine Haupt und Tina Lanik] bewegen uns hier eher in der Mitte dieses Kaleidoskops, aber auch die ganz Jungen verspüren diese Wut, dass viele Dinge (noch) so sind wie sie sind. Sei es im Theater, was Besetzungen etc. betrifft, oder generell in der Gesellschaft. Das finde ich fast ein bisschen erschreckend, dass sich da doch nicht genug geändert hat. Man spiegelt sich ja auch in den jüngeren Frauen und wünscht sich, dass es bei denen anders bzw. besser läuft.

Sabine Haupt: Stimmt. Im Gespräch mit den jüngeren Kolleginnen, die im Alter meiner Tochter sind, freut mich immer, dass der Austausch über bestimmte Themen eine ganz andere Selbstverständlichkeit hat. Themen wie zum Beispiel Sexualität und weibliche Lust sind in meiner Generation immer noch unglaublich schambehaftet. Wichtig wäre, dass wir alle dahin kommen, wo die jüngere Generation -  vielleicht auch durch unsere Erziehung - heute schon ist: Mit einer Selbsertversändlcihkeit zu sagen: "Ich lebe meine Sexualität! Sie ist eine von vielen Ausdrucks- und Selbstdarstellungsmöglichkeiten, die mich ausmachen und gleichzeitig wehre ich mich dagegen von Männern sexualisiert zu werden." Da kann man so viel lernen von den jungen Frauen

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