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Poetischer Widerstand als grimmiger Spaß

Veronika Schuchter
Eine Sprache, die formal und ästhetisch die Möglichkeiten des politischen Widerstandes auslotet, hat sich tief in die österreichische Literaturgeschichte eingeschrieben, tiefer als in viele andere Nationalliteraturen, die sich stärker dem Story-Telling verschrieben haben und ihr Engagement offen vor sich hertragen.

Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Josef Winkler: Viele haben die Sprache als Moment der Irritation begriffen und eingesetzt. Sie haben die Sprache von jeder Gefälligkeit befreit. Das zeigt sich auch im Blick auf den großen Nachbarn Deutschland, dessen kanonisierte Autoren wie Thomas Mann, Heinrich Böll, Günter Grass und Christa Wolf viel stärker auf die erzählerische als auf die sprachliche Kraft gesetzt haben.

Szenenfoto Kollektivsalon, Folge 1
© Marcella Ruiz Cruz

In die Tradition einer Grammatik des Widerstandes reihen sich einige der spannendsten österreichischen Romane des Jahres. Bei genauem Hinsehen ergeben sich dabei auffällige Überschneidungen und narrative Parallelen, die eines gemeinsam haben: Sie lehren den Leser und die Leserin das Misstrauen. Allen voran Lisa Spalt mit ihrem literarischen Projekt „Das Institut“, in dessen Zentrum der gleichnamige Roman steht, der eigentlich kein Roman ist, sondern vielmehr einen Roman beschreibt. Das Institut für poetische Alltagsverbesserung, kurz IPA, gibt es tatsächlich, es ist nämlich die Autorin selbst, vielleicht ist es auch die Literatur, aber so genau weiß man das nicht. Das klingt kompliziert und soll es auch sein. Verwirrung gehört zum Stilprinzip und auch eine gehörige Portion Nonsense. In kurzen Abschnitten beschreibt die Erzählerin, die Autorin und Institut in Personalunion ist, die Weltstadt Lands, die sich unter einem Diktator namens Cramp auf die ganze Welt ausgedehnt hat.

Mit seinen Anhängern kapert Cramp die Literatur und verkauft sie als Realität: „Die Erdichtung wurde ja inzwischen von städtischen Beamtinnen erledigt, so war mir die einzige Verdienstmöglichkeit abhandengekommen. Genauer: Diese Agents kopierten meine experimentellen Methoden der Poesie und dichteten ‚konkret‘ in ‚Zahlenkolonnen‘ [...].“ In der politischen Vereinnahmung der Fiktion wird ein Angriff sowohl auf die Literatur als auch auf die Realität erkennbar gemacht. „Wissenschaftliche Seriosität“ wird plötzlich „als Übereinstimmung von Erkenntnissen mit dem Willen des Volkes“ definiert, „böhmische Dörfer“ sind von echten nicht mehr zu unterscheiden.

Fühlt sich die Literatur zunächst auch sprachlos angesichts der manipulativen Aneignung ihrer Verfahren, darf sie sich ihrer ureigenen Mittel nicht berauben lassen:

„Ich begann, Wörter zu fürchten, welche die Agents zu ihren Zwecken missbrauchten, und musste jede Diskussion beenden, wenn sie erklangen. So wuchs meine Ohnmacht, da ich mich immer mehr aus dem Wörterbuch zurückzog, anstatt auf der ,Bedeutung meiner Wörter‘ zu bestehen.“

Das ganze Projekt (eine intermediale Ergänzung findet sich im Netz unter www.lisaspalt.info) kann als poetische Gegenrede verstanden werden, aber eben nicht gegen tagesaktuelle und tagespolitische Aktionen und Positionen, sondern gegen einen politischen Diskurs, der sich narrativer, fiktionalisierender Techniken bedient, um manipulativ eine Scheinrealität herzustellen.

„Das Institut“ ist kein Schlüsselroman, auch wenn „Cramp“ natürlich verdächtig nach „Trump“ klingt und Spalt auch reale Ereignisse einflicht, etwa die von Trumps Pressesprecherin inszenierte Geschichte des Jungen, der unbedingt den Rasen des Weißen Hauses mähen wollte. Dennoch zielt der Text auf eine höhere Ebene ab. Spalt muss weder Trump noch Brexit noch Fake News schreien, damit man versteht, worum es geht. Auch das unterscheidet sie von vielen anderen Autorinnen und Autoren: Die Realität ist für sie kein Begriff , der sich überlebt hat.

Jede Zeit hat ihre Helden, sagt man, und jede Form der Politik bringt eine spezifische Form des Widerstandes hervor. Die Literatur antwortet auf Fake News und autoritäre Tendenzen gerade mit doppelten Böden, unzuverlässigen Erzählern und einer Sprache, die Misstrauen weckt und keine Flucht in eine tröstende fiktive Welt der Literatur zulässt.

Ein Blick auf aktuelle Bücher lässt ein Zeitphänomen vermuten: In einer Zeit, in der die Realität politisch verzerrt und pervertiert wird, wenn nachweisliche Lügen zu „stichfesten Gerüchten“ umgewidmet werden, besteht die literarische Gegenrede plötzlich im Beharren auf einer Realität, auf die man sich einigen kann. Das tun diese Texte aber nicht, indem sie eine möglichst einfache und glatte Wahrheit präsentieren, sondern das Gegenteil: Sie benutzen ihr Medium, die literarische Sprache, um ihre Leserinnen und Leser in intellektuelle Alarmbereitschaft zu versetzen und sich eben nicht von einfachen Narrativen und einer einhegenden Sprache einlullen zu lassen. Sie versuchen, abzubilden und zu stören, die Leser sollen geschult werden im Erspähen von doppelten Böden und Scheinrealitäten.

Viele Motive, die Spalt einsetzt, finden sich auch in anderen aktuellen Romanen. Der Tölpel Nigel etwa, der sich in Neuseeland in „eine Artgenossin aus Beton“ verliebt, findet seine Entsprechung in der in ein Tretboot verliebten Schwänin Petra, die Anna Weidenholzer in ihrem Roman „Finde einem Schwan ein Boot“ einsetzt, um vor Augen zu führen, wie leicht Menschen sich von einer scheinbaren Wesensgleichheit täuschen lassen. Schein und Sein spielen auch in Raphaela Edelbauers Roman „Das flüssige Land“ eine entscheidende Rolle: Hier ist die Physikerin Ruth auf der Suche nach einer zunächst unauffindbar erscheinenden Gemeinde namens Groß-Einland. Wie auch in Spalts Weltstadt Lands dient der fiktive Ort als topografische Metapher für (gesellschafts-)politische Phänomene. Der Reiz besteht im Kontrast zwischen dem realistischen Sprachduktus und der immer weiter ins Surreale abgleitenden, kafkaesken Handlung.

Cover von booklet, die Literaturbeilage der Wochenzeitung Die Furche
© Die Furche

Wenn es eine Großmeisterin einer Grammatik des Widerstandes gibt, so ist es Marlene Streeruwitz. Wie keine andere hat sie es zu ihrem literarischen Konzept gemacht, die patriarchale Ordnung der Sprache durch ihre ganz eigene Ästhetik zu stören. In ihrem aktuellen Roman „Flammenwand“ geht sie einen ganz neuen Weg: Über einen ausführlichen Anmerkungsapparat verknüpft sie die Handlung und den Prozess des Schreibens mit den Einflüssen der Politik und der Medienberichterstattung darüber.

Jede Zeit hat ihre Helden, sagt man, und jede Form der Politik bringt eine spezifische Form des Widerstandes hervor. Die Literatur antwortet auf Fake News und autoritäre Tendenzen gerade mit doppelten Böden, unzuverlässigen Erzählern und einer Sprache, die Misstrauen weckt und keine Flucht in eine tröstende fiktive Welt der Literatur zulässt. Lisa Spalts „Das Institut“ ist immerhin so verspielt und kreativ, dass der Widerstand auch grimmigen Spaß macht.

Dieser Artikel stammt aus dem druckfrischen booklet (Nummer 72), der Literaturbeilage der österreichischen Wochenzeitung Die Furche und wurde Ihnen – thematisch passend zu unserem Debattenschwerpunkt "Im Fokus: Demokratie" – an dieser Stelle... geschenkt. Die aktuelle Furche (Nummer 45) wird zum Kennenlernen oder zum Wiedersehen am 11. November bei "Apropos Gegenwart" im Kasino am Schwarzenbergplatz kostenlos für Sie aufliegen. 

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