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Was ist Widerstand?

von Doron Rabinovici

Zwei Geschichten zum Widerstand

Jacques-Louis David: Der Tod des Sokrates (1787)
Was ist Widerstand?
© Doron Rabinovici

Die Wahl der Worte ist Teil des Kampfes. Was also Widerstand ist, was Widerstand sein kann, darüber lässt sich lange streiten. Eines ist klar: Widerstand lässt sich nicht ohne Sokrates denken. Das, was wir heute Widerstand nennen, ist von ihm geprägt. Hier beansprucht das Individuum seine Souveränität jenseits der Macht. Und er ist es auch, der zwischen einem König unterscheidet und einem Tyrannen, der sich die Macht usurpiert. Sokrates hält nicht ein göttliches Recht hoch. Es geht ihm um menschliche Belange. Er war der einzige Geschworene im Prozess gegen die Strategen der Seeschlacht bei den Arginusen, der nicht gezwungen werden konnte einer Verurteilung zuzustimmen obwohl ihm für diesen Fall angedroht worden war, dass er selbst dann ebenfalls verurteilt würde, und er weigerte sich während der Herrschaft der 30 auch, die Verhaftung eines unschuldigen Oppositionellen durchzuführen, und das obgleich er wusste, dass ihn das sein Leben kosten konnte. Im Verfahren, das gegen ihn eröffnet wurde, beugte er sich auch nicht. Er zeigt eines: Demokratie kann nicht Mehrheitsherrschaft allein sein.

Eine Demokratie, die von der Minderheit eine Kapitulation verlangt und Ihr nicht zubilligt, ihre Meinung weiterhin zu verfechten, für sie zu streiten, hat aufgehört eine zu sein.

Demokratie ist eben nicht nur die Macht der Vielen, sondern sie ist ein Prozess, sie ist ein Regelsystem. In der Gegenwart gehört zur Demokratie der Rechtsstaat. Ohne ihn kann der Opposition nicht zugesichert werden, das nächste Mal wieder eine Chance zu haben und sich wieder der Wahl stellen zu können, also das nächste Mal die Mehrheit werden zu können. Sokrates wurde danach wirklich der Gottlosigkeit angeklagt, um mit ihm abzurechnen. Er war nicht bereit sich zu fügen, er rebellierte bis zum Schluss des Prozesses. Aber jetzt passiert das Merkwürdigste: Er befolgt das Gesetz, er nimmt das Urteil auf sich, er lehnt die Flucht ab, die möglich ist. Ja, er vollzieht die Hinrichtung selbst, indem er den Schierlingsbecher leert. Sokrates unterwirft sich dem Urteil. Das Interessante dabei ist, dass seine Weigerung, sich dem Urteil zu entziehen, selbst auch ein Akt des Widerstandes wird. Er war bereit zu sterben, um sich nicht ausschalten zu lassen. Es wäre leicht gewesen für ihn zu fliehen und dann wäre er auch kein Hindernis mehr für die Macht gewesen. Der Widerstand, den er leistete, lag gar nicht im Ungehorsam, sondern in der Beharrlichkeit und im Eigensinn, dass er den Tod gefasst und ruhig auf sich nahm. Der Widerstand war auch ein Zeichen seines Trotzes, denn der Feind hätte jubiliert, wäre er ins Exil gegangen. Das heißt, Widerstand kann auch geleistet werden indem ein Gesetz nicht übertreten wird. Der entscheidende Punkt ist, dass die Rebellion in der Demokratie mehr verlangt als gleiches Recht für alle. Gleiches Recht, dass jeder jeden fressen darf, bedeutet eben für Maus und Katz nicht dasselbe, da ist die Maus eindeutig im Nachteil. Aber Sokrates beharrt auf seinem Eigensinn: Es ist selbst im Moment als er den Schierlingsbecher trinkt ein Akt des Widerstands. Die Wahl der Worte ist Teil des Kampfes.

Doron Rabinovici
Doron Rabinovici
© Georg Soulek

APROPOS GEGENWART

Sasha Marianna Salzmann im Gespräch mit Doron Rabinovici
am 11. November im Kasino am Schwarzenbergplatz

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