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Lost Verses

Kolumne
Gerhild Steinbuch

Eine Kolumne von Gerhild Steinbuch

 

BURGTHEATER MAGAZIN: Freiheit
© studio VIE
In der Spielzeit 2019/20 schreiben Srécko Horvat und Gerhild Steinbuch abwechselnd eine Kolumne Extende für das Burgtheater Magazin.

„Be afraid of the lame, they’ll inherit your legs, be afraid of the old, they’ll inherit your soul.“

singt die Playlist, und ich starr ins Land hinein, weil die innere Landschaft mal wieder nichts hergibt. Alles ordentlich durchkämmt, das magere Feld bestellt, mit bloßen Händen nach dem schönen Erntedank geschaufelt, der sich nicht so recht zutagefördern lassen will. Zwischen Angstpraktiken und Angstbewältigungspraxen rumgestanden, die stattdessen aus dem panisch bestellten Boden schießen. Danger, danger don’t be a stranger. Na, dann eben dort hinein, wo das schlechte Gefühl draußen bleiben muss und sich alles irgendwie ordentlich anfühlt.

Österreich ist ein wunderbares Land, steht da präambelmäßig am Einlass, dass man sofort den Ironiedetektor anwirft, sicher ist sicher. Aber nix da. 2020: das Jahr der österr. Neuerfindung oder year of post-neo-sincerity? Auf der Winterglätte rutscht man aus und schlittert ins Paralleluniversum, in dem man hinter dichten Grenzen sauber Müll trennt und die Frauenagenden ins Integrationsressort umgezogen wurden. Sicherheitsbedürfnisse so schön wie Österreich. Freiheit beginnt im Kopf, und rennt da drin dann ordentlich gegen die Wand. Das war ja einfach. Während wir im Eurodancetrott noch gen Insel schippern schon das mittelgroße Fragezeichen, was geht, was bleibt, was davon in Erinnerung bleibt, was haftet im Kollektivhirn, ja, wir wollen schließlich alle Liebe statt dauernd in den Sumpf hineinzuemotionalisieren, der zurückbeißt, -schlägt und -tritt, und wenn schon keine Liebe, dann wollen wir zumindest bessere Aussichten, die Aussicht auf sowas wie Veränderung zum Beispiel, am besten urplötzlich, am besten allumfassend, am besten mit feinem Zukunftshauch, der nach Popcorn duftet, ein Geruch, der auch nach dem Abspann unaufdringlich angenehm bleibt. Irgendwie auch verständlich. Schließlich knallt das Monströse ja immer dann in die sogenannte mühsam zusammengefriemelte Ordnung, wenn man es am wenigsten brauchen kann. Und immer packt man als Gegenstrategie dann die ziemlich handfeste ziemlich einfach harmonische Geschichte aus. Immer packt es dann die ziemlich handfeste ziemlich einfache Geschichte aus. Wenn man was gemeinsam hat, das ist schon was Schönes. Hallo Harmonie, du altes Schneckenhäuselein. Österreich ist also ein wunderbares Land. Zu Jahreswechsel werden als staatstragender Akt alle Angstpraxen geschlossen, innerlich, äußerlich. Vielleicht spaltet ja, wer seine Heimat liebt, diese wirklich nicht, vielleicht muss man aber auch alles was einem an Werk- und Wortzeug zur Verfügung steht, da reinrammen: Die Freiheit der fröhlich unreflektierten Begriffsweiterverwendung vs. die Freiheit, die Waffen auch mal gegen sich selbst zu richten. Tja, wir wollten Liebe und bekamen, wenns hochkommt, Kommunikation, Konvention, Satzbaukasten, kontrollierte Freiheiten, Wortspielfelder, Hülsen, Projektile, heldenhaft abgefeuert: Gegen Anspruch, Einspruch, Mitwelt, gegen Ambivalenz, Vielfalt. Wer seine Heimat liebt, der schießt ordentlich was zusammen. Und wer seine Freiheit liebt, der auch.

Wer Geschichten liebt, erzählt sie bis zum bitteren besseren Ende.

Raconte-moi une histoire- Stand your ground my ass, sagt das spätmodern friedfertige Subjekt und macht die Playlist aus, erzähl mir eine andere Geschichte, sagt es, ins Monströse hinein, das sich da aus allen Richtungen ins Bild schiebt. Oder nie richtig ins Bild schiebt. Hängt am Rand fest, schielt und suppt da ordentlich rein, ins total flexible Bild, das so triefend an Wendigkeit verliert. Eine saubere Erfolgsbiografie, die in die blitzblanke Geschichte passt: Auch ein herausforderndes Unterfangen im klebrigen Kompromiss romantischer und bürgerlicher Ideale. Lüge plus Lüge gleich noch mehr Druck. Da kann einem das Dauerlächeln schon mal kurz entgleiten. Und wer dann zur Restauration der eigenen Befindlichkeit nicht zum Schießen mit seinen Kumpels durchs Unterholz trotten kann, durchs paintballbefleckte, die geht ins Kino: Da steht er, der Held mit dem Clownsgesicht und recycelt sich selbst, dreht Vorbild und Vorlage so durch den Fleischwolf, wie er selbst durchs System durchgerüttelt und immer wieder ausgespuckt wird, oder rausgetreten. Take the red pill & let’s build that wall. Zwischen Zerfall und der Zersplitterung von Ereignissen erweist sich die emotionale Achterbahn als größte Konstante, die leider auch keine Erleichterung verschafft, weil in sichere, zwangspositive Bahnen gelenkt. Forgive my laughter. I have a condition. Wohin nun mit der ganzen Emotion, die da nicht reinpasst? Während der Joker in The Dark Knight 2008 als agent of chaos und Vertreter einer Dramaturgie des Spiels auftritt, folgt der innerhalb der Fabrik des Unglücks agierende Joker 2019 gleich seinen realen Vorgängern und potentiellen Nachahmern der Agenda, dass gewinnt, wer zuerst das Leben anderer zerstört und dann das eigene. Und zwar so, dass man davon auch was mitkriegt. The road to freedom qua Selbstverwirklichung: Nicht in die Geschichte reinstarren, Geschichte werden, Geschichten Geschichte werden lassen. Dramaturgischer Setzkasten und Satzbaukasten, B-Movie frei nach Abraham Maslow. Schöner Heldenpalast. Herrschaft unterdrückt, aber Herrschaft stabilisiert schließlich auch. Ein sehr provisorischer aber auch sehr hermelinheimeliger Deckmantel, unter dem Auflösungsprozesse fröhlich voranschreiten. Egal. Wer Geschichten liebt, erzählt sie bis zum bitteren besseren Ende. Und Österreich ist ein wunderbares Land.

Raconte-moi une histoire: Und das Monströse, das immer in die Erfolgsgeschichte reinfunkt, wenn mans nicht brauchen kann? Steht zwischen geschlossenen Angstpraxen und Angstbewältigungspraxen rum, in die man dann ja doch immer wieder reinwill oder -muss, obwohl der Abspann läuft und die Musik so schön schummert und der Schnee, durch den man dann nachhause stapft, nach Popcorn riecht.

Gerhild Steinbuch
Gerhild Steinbuch

Gerhild Steinbuch

geboren 1983 in Mödling, Studium Szenisches Schreiben im DRAMA FORUM Graz und Master Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sie schreibt Texte für Sprech- und Musiktheater, Essays, Hörspiele; arbeitet als freie Dramaturgin sowie Übersetzerin aus dem Englischen. Seit 2019 ist sie Professorin am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst. Ihre Stücke werden vom Rowohlt Theater Verlag vertreten. Gerhild Steinbuch ist Gründungsmitglied von Nazis & Goldmund HYDRA, einer Autor*inneninitiative gegen die europäische Rechte, Mitglied im „Institut für chauvinistische Weiterbildung“, Mit-Initiatorin der VIELEN in Österreich. Derzeit richtet sie als Teil der HYDRA den Kollektivsalon im Kasino aus und arbeitet an Projekten für das Nationaltheater Mannheim, NT Athen, Deutschlandfunk und brut Wien.

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