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GRETCHENFRAGE #3: Was kann Kunst bewirken?

Gretchenfrage
Gábor Köves

In Hinblick auf die Wahlen in Ungarn berichtet der Journalist Gábor Köves von der zunehmend unfreien Kultur in seinem Heimatland und wirft die Frage auf: Was kann Kunst bewirken?

© Imago images/Everett Collection
Die „Gretchenfrage“ stellt das Burgtheater zu Themen, die die Gesellschaft bewegen.

Ensemblemitglied Annamária Láng reagiert mit einem Video auf die Kommentare im STANDARD-Forum, Text und Kommentare liest Ensemblemitglied Bardo Böhlefeld. 

#GRETCHENFRAGE. Mit Bardo Böhlefeld & Annámaria Láng

Gábor Köves: „Ist Kunst in totalitären Systemen Luxus?“

Man hat mich gebeten, meine Ansichten über das aufzuschreiben, was wir normalerweise etwas hochtrabend das „kulturelle Leben“ nennen – und auch darüber, wie das, was man sehr sachlich „Politik“ nennt, auf dieses so genannte kulturelle Leben wirkt.

Wenn eine Wahl ansteht, sind wir für das westliche Publikum immer etwas spannender – wir bedanken uns auch auf diesem Wege für das Interesse.

Der Ort des Geschehens: Ungarn. Die Zeit des Geschehens: Dieselbe wie bei Ihnen. Wenn eine Wahl ansteht, sind wir für das westliche Publikum immer etwas spannender – wir bedanken uns auch auf diesem Wege für das Interesse. Und die Wahlen kommen in Ungarn immer näher. Angespornt durch diese Aufgabe habe ich sofort begonnen, mich selbst zu fragen, wie ich denn unser kulturelles Leben sehe. Und es ist mir sofort jemand in den Sinn gekommen, gegen den ich schon seit einiger Zeit einen Groll hege. Bruce Willis! 
Herr Willis hat zwar mit Ungarn nur insofern zu tun, als er hier einmal den -zigsten Teil von Stirb langsam drehte (dem Film diente Budapest ironischerweise als Kulisse für Moskau). Aber meiner Überzeugung nach bin nicht allein ich der Meinung, sondern vermittle hiermit die Enttäuschung zahlreicher meiner Landsleute dafür, dass er schon seit Jahren seinen Namen für die miesesten Actionfilme hergibt.
Das ist traurig. Aber es ist wenigstens auf unterhaltsame Weise traurig, und nicht so osteuropäisch traurig wie der Actionfilm, in dem Budapest einfach nur Budapest darstellt. Das Sujet ist schrecklich einfach, noch einfacher als das, was Bruce gewohnt ist. Und dieser Film sieht so aus: Die Macht kommt und übernimmt die Herrschaft über die Kultur. Zumindest tut sie alles dafür, sich der Kultur zu bemächtigen. „Wenn ich das Geld verwalte, dann habt ihr, meine lieben kleinen Künstler*innen, zu kuschen.“ Diese Botschaft vermittelt der Staat an seinen besten Tagen. Nun ja, das ist keine große Story. Was das angeht, wäre eine kleine Drehbuchentwicklung in die ein oder andere Richtung angebracht. Aber wenigstens mangelt es ihr nicht an Action.

„Wenn ich das Geld verwalte, dann habt ihr, meine lieben kleinen Künstler*innen, zu kuschen.“

Heutzutage sind nämlich die Filme so lang, dass unserer erfrischend kurz sein sollte – wie eine durchschnittliche Arbeitswoche von Montag bis Freitag. Montag: Kulturkampf in der Literatur. Dienstag: Kulturkampf im Theater. Mittwoch: Kulturkampf bei der Filmproduktion.
Zwar wiederholt sich die Struktur ein wenig, aber bleiben Sie dran!
Donnerstag: Eine kleine, aber feine Schließung eines Printmediums. Freitag: Hm, sollen wir vielleicht eine Universität vertreiben? Und unter den Extras auf der DVD findet sich auch der Samstag. Ja, tatsächlich! Was geschieht am Samstag? Vielleicht ein Museum? Eine Akademie? Ein Festival? Oder geraten etwa Leute, die Briefmarken sammeln, ins Visier? Wer erinnert sich schon an solche Kleinigkeiten?
Ein oder zwei solche Tage sind mir aber doch noch deutlich in Erinnerung geblieben. Auch sie begannen wie alle anderen: Die Sonne ging auf, der Morgen grüßte. Ich schaute mich in meinem kulturellen Leben um: Ist alles noch so, wie ich es am Vorabend verlassen habe? Es lässt sich nicht bestreiten: Man rechnet nicht gerade mit großen Erschütterungen. Kultur kann man auch weiterhin nicht essen und die Erfahrungen zeigen, dass man es mit der Zeit auch verschmerzen kann, wenn die langerwartete Tschechow-Inszenierung nicht so wurde, wie wir das erwartet hatten.
 

So gibt es Tage, an denen du aufwachst und feststellen musst, dass in deinem kleinen Kulturgarten nichts so ist, wie es am Vortag noch war.

So gibt es Tage, an denen du aufwachst und feststellen musst, dass in deinem kleinen Kulturgarten nichts so ist, wie es am Vortag noch war. Eine Tageszeitung mit großer Vergangenheit erscheint nicht mehr, weil sie (mittels ein wenig Handreichung eines österreichischen Strohmanns) eingestellt wurde. Die komplette Redaktion des meistgelesenen Internetportals erhebt sich, weil ihre Unabhängigkeit endgültig in Gefahr geraten ist. Oder es zieht die beste ungarische Universität nach Wien um, weil man sie aus Budapest verdrängt hat. Und an einem anderen dieser Tage setzt ein politischer Angriff gegen ein Theater ein, oder der Staat beraubt gerade eine Kunstuniversität ihrer Autonomie. Von den öffentlichen Medien ganz zu schweigen. Durchschnittliche Tage, alles geht den gewohnten Gang. Billy Wilder, der den Weg vom Journalisten in Wien zum legendären Hollywood-Regisseur gemacht hat, dachte in schweren Augenblicken beim Filmdreh oft darüber nach, was wohl in einer ähnlichen Situation Ernst Lubitsch getan hätte. Dessen Leichtigkeit, Eleganz, Scharfsicht und Humor nannte die Nachwelt oft „The Lubitsch Touch“. 
Als ich gebeten wurde, doch bitte in einer Länge von 4.000 Druckzeichen zu formulieren, welche Meinung ich von unserem kulturellen Leben habe, kam mir ein anderer Touch in den Sinn: der Esterházy Touch. Was würde der 2016 verstorbene Péter Esterházy mit seiner charakteristischen Eleganz und Leichtigkeit, mit seinem Humor an Tagen des überdurchschnittlich wütenden Kulturkampfes dazu sagen? 

Es war auch einer dieser schlimmeren Tage, als die Regierung die Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) ins Visier nahm.

Es war auch einer dieser schlimmeren Tage, als die Regierung die Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) ins Visier nahm. Doch da passierte anstelle des üblichen Szenarios, also anstelle einer reibungslos verlaufenden Besetzung des Gebiets, etwas Ungewöhnliches: Die Studierenden und Lehrkräfte standen für die Autonomie ihrer Universität ein und widersetzten sich. Gegen die Übermacht der Regierung konnten sie sich nicht durchsetzen. Dennoch sind viele von uns der Meinung, dass sie gesiegt haben. Der Staat besetzte die Institution, aber aus dem Widerstand ist der Verein Freie Universität für Theater- und Filmkunst (FreeSZFE Egyesület) entstanden – eine Stätte freien Schaffens, wo nicht die Regierung das Sagen hat, sondern die Autonomie der Künste herrscht. Wenn mich die altbekannte Lethargie à la „Es ist doch sowieso alles egal.“ befällt, oder ich mich – noch schlimmer – den späteren Filmen Bruce Willis’ hingebe (weil sie in diesen Momenten erträglicher sind als die Wirklichkeit), brauche ich seitdem nur an den Widerstand der Studierenden der SZFE zu denken.

eine Stätte freien Schaffens, wo nicht die Regierung das Sagen hat, sondern die Autonomie der Künste herrscht.

„Erinnerst du dich, was du an diesem Tag gemacht hast?“ Lautet die altbewährte Journalistenfrage, die auf die bedeutenden Tage unserer gemeinsamen Geschichte anspielt. Ich weiß noch genau, wie ich mich an dem Tag gefühlt habe, als die Studierenden den Campus übernommen haben.

© Gábor Fényes

Gábor Köves 

ist ungarischer Journalist und war über 10 Jahre lang Mitarbeiter der Wochenzeitschrift Magyar Narancs. Er hat Umberto Eco, Margaret Atwood, Péter Esterházy, Michael Haneke, Péter Nádas, John le Carré und viele andere interviewt. Zwei Bände seiner Interviews sind in Buchform erschienen.

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