NOTAT #1: WERK IM FOKUS zu HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI
Der erste WERK IM FOKUS Rückblick : Der Musiker und Komponist Pablo Chemor zu Gast im Online-Talk zu HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI

Pablo Chemor interpretierte für Antú Romero Nunes' Inszenierung von HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI die für das Stück entstandene Originalmusik von Paul Dessau neu. Dabei hat er in Zusammenarbeit mit Anna Bauer, ein neues Klangbild für Brechts populäres Volksstück entwickelt. Inspiriert von der Wucht der Volksliednahen Songs entstand eine musikalische Begleitung für ein Streichquartett. Bei WERK IM FOKUS am 10. April 2025 sprachen wir über die Genese der opernmäßigen Soundkulisse, die Rezeptionsgeschichte des Stücks und über Urheberrechte.
Hier finden Sie auf vielfachen Publikumswunsch erstmals NOTATE – ein Testformat zum Nacherleben des Gesprächs. In diesem Fall mit Musikbeispielen. Wir freuen uns auf Ihr Feedback: online@burgtheater.at
HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI
„Ein zurechnungsfähiger Mensch […] hat keinen Sinn für Freundschaft mehr, er ist bereit, über seine eigene Leiche zu gehen“, sagt Gutsbesitzer Puntila und versucht, „Anfälle von Nüchternheit“ zu vermeiden.
Immer, wenn er getrunken hat, wird er zum Menschenfreund. Dann verlobt er sich kurzerhand gleich mit mehreren Arbeiterinnen, beschäftigt Kranke aus Mitleid und philosophiert mit seinem Chauffeur Matti über das Leben. Puntilas Tochter Eva versucht ihren Vater vom Alkohol fernzuhalten und zweifelt an ihrer Verlobung mit dem Attaché. Sie verbündet sich mit Matti und die beiden müssen einsehen, dass sie nicht hauptsächlich unter Puntilas Alkoholmissbrauch, sondern vor allem unter den Regeln des Kapitalismus leiden.
Bertolt Brecht schrieb HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI zusammen mit Hella Wulijoki 1940/41 im finnischen Exil auf Grundlage ihres Stücks „Die Sägemehlprinzessin“.
HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI
von Bertolt Brecht Volksstück nach Erzählungen und einem Stückentwurf von Hella Wuolijoki
mit Musik von Paul Dessau und Pablo Chemor
Regie: Antú Romero Nunes
Mit: Bruno Cathomas, Lola Klamroth, Annamária Láng, Justus Maier, Felix Rech, Marie-Luise Stockinger, Tilman Tuppy, Julia Windischbauer
Premiere am 29. März 2025, Burgtheater
Dramaturgin Lena Wontorra bei WiF über HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI
"HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI in der Inszenierung von Antù Romero Nunes ist ein bunter und spielfreudiger Theaterabend. Brecht hat mit dem Text den Versuch unternommen, ein episches Volksstück zu schreiben. Das Stück spielt in Finnland und ist dort auch entstanden. Im Exil verbrachte Bertolt Brecht den Sommer 1940 auf Gut Marlebäck in Südfinnland. Die finnische Schriftstellerin Hella Wuolijoki hatte ihn und seine Familie dorthin eingeladen. Wuolijoki hatte ein Stück mit dem Titel „Die Sägemehlprinzessin" geschrieben, das ungefähr den Plot des Puntila-Stoffes hat. Brecht hat diesen Stoff in seine epische Theaterform übertragen. Puntila, die Hauptfigur, ist Gutsbesitzer. Wenn er getrunken hat, vergisst er die Regeln des Kapitalismus, will sich „eins machen mit den Arbeiter:innen“ und die „Kluft“ zwischen den Klassen überwinden. Mit seinem Chauffeur Matti philosophiert er über Umverteilung und Gerechtigkeit. Puntilas Tochter Eva soll eine arrangierte Ehe mit dem Attaché Eino Silakka eingehen, den sie seit Kindertagen kennt. Eine Liebesheirat ist das nicht. Alle Figuren leiden auf die eine oder andere Art daran, dass sie in diesem gesellschaftlichen Zusammenhang im kapitalistischen System eine bestimmte Rolle erfüllen müssen, die sie eben daran hindert, wirklich zusammenzukommen und sich zu verbinden. Alle sind auf ihre Art einsam. Eva und Matti suchen beide nach einem Ausweg aus ihrer Situation, nähern sich an und loten in einem fast flirtenden Spiel die Grenzen ihrer jeweiligen Klasse aus. Sie müssen aber am Ende doch einsehen, dass die „Kluft“ zwischen ihnen nicht zu überbrücken ist. Matti verlässt Puntila und formuliert schlussendlich die Moral von Brechts Geschichte: eine Aufforderung zur Selbstermächtigung. Die Uraufführung fand 1948 in Zürich statt und für diese Uraufführung komponierte, wie für viele andere Stücke von Bertolt Brecht, Paul Dessau die Musik"
WERK IM FOKUS
Auszug aus dem Zoom-Talk am 10. April 2025. Das Gespräch führte Anne Aschenbrenner (Digitaldramaturgin)
Anne Aschenbrenner: Pablo, du hast aus Paul Dessaus Musik etwas völlig Neues gemacht. Was hat dich am Original besonders beeindruckt? Was habt ihr verändert?
Pablo Chemor: Dessau komponierte sehr ernste Musik und nutzte dafür dem Volk entlehnte Instrumente, Akkordeon, Klarinette und Gitarre, das ist interessant für eine Komödie wie HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI. Wir haben uns bei der Instrumentierung für ein Streichquartett entschieden, um die Musik in den beeindruckenden Wiener-Burgtheaterraum zu heben, sozusagen als eine Wiener-Variante der Musik von Dessau. Neben dem haben wir im Vergleich zum Original nicht viel verändert. Die Streicher schöpfen ihre Instrumente in den Kompositionen voll aus und aus den Motiven Dessaus sind auch noch weitere Musiken entstanden, z.B. auch ein Tango, denn der Tango ist tatsächlich eine wichtige Musik in der finnischen Kultur.
AA: Welche Funktion sollte die Musik in eurer Arbeit haben? Was war die Intention? Bitte gib uns Einblick in den Arbeitsprozess!
PC: Die Musik ist ein Erzähler, der die Szenen kommentiert, die wir sehen, aber auch die Stimmung und die Atmosphäre für bestimmte Szenen vermittelt. Für Regisseur Antú Romero Nunes ist Humor sehr wichtig, den unterstützen wir mit dem Einsatz der Streicher:innen auch. Einige Kompositionen hatte ich schon zum Probenstart vorbereitet, vieles ist aber auch auf den Proben in der Zusammenarbeit mit dem Ensemble entstanden. Wir hatten ein Klavier auf der Probebühne und haben viel improvisiert. Anschließend habe ich das zusammen mit Anna Bauer für das Streichquartett umgeschrieben. Einige Lieder sind auch erst bei den Proben entstanden, der Song von Marie-Luise Stockinger, der im Originalstück nicht enthalten ist, zum Beispiel. Das ist ursprünglich auch eine Komposition von Paul Dessau, der den Text KLEINES LIED von Brecht vertont hat. Wir fanden das inhaltlich sehr passend und konnten den Song in die Inszenierung integrieren
HÖRBEISPIELE
Im Original: Das Puntilalied
Annámaria Lang als Köchin Laina. Aus: HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI
Im Original: Das Pflaumenlied
Tuppy als Schmuggleremma. Aus: HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI-
Die Teilnahme ist kostenlos, den Einladungslink erhalten Sie über unseren Newsletter.