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TANZ AM ABGRUND
FERDINAND SCHMALZ IM GESPRÄCH MIT DER PRODUKTIONSDRAMATURGIN LEA GOEBEL
Wie viel Widerstand steckt im Eskapismus? Wo verläuft die Grenze zwischen politischem Handeln und Fatalismus? Im Interview gibt Autor Ferdinand Schmalz Einblicke in sein neues Stück, das in einer dystopischen Welt spielt und von Josef Lang, dem letzten Scharfrichter Österreich-Ungarns, inspiriert ist. Zwischen 1900 und 1918 vollstreckte Lang rund 39 Todesurteile. Ausgehend von dieser historischen Vorlage spricht Schmalz über die multiplen Krisen unserer Zeit, die Clubkultur als Gegenraum, den Einfluss rechter Frauenfiguren und die dunklen Facetten politischer Gewalt.
LEA GOEBEL: Anders als man vermuten würde, war Josef Lang kein gesellschaftlicher Aussätziger. Pepi, wie ihn seine Freund:innen nannten, galt als sympathischer Henker, Frauenheld, perfektionierte die Hinrichtung am Galgen in unter 60 Sekunden. Was hat dich an seiner Geschichte fasziniert?
FERDINAND SCHMALZ: Die Geschichte von Josef Lang ist mir schon vor längerer Zeit untergekommen. Es gibt Stoffe wie die des „Herzerlfressers“, die mich wie Untote immer wieder heimsuchen, die mir keine Ruhe lassen. Was mich an seiner Geschichte vor allem interessiert, ist die seltsame Anziehungskraft, die der Henker aus Simmering auf seine Zeitgenoss:innen ausübte. Zu seiner Beisetzung auf dem Simmeringer Friedhof kamen Tausende Trauergäste. Den markigen Scharfrichter mit dem Lächeln auf der berühmten Fotografie hinter dem Würgegalgen umgibt auch heute noch eine abgründige Nostalgie. Indem ich die Handlung in eine nicht allzu ferne Zukunft verlegt habe, rücken all die Fragen rund um die Todesstrafe wieder in unangenehme Nähe. Ich glaube zwar nicht, dass wir kurz davorstehen, dass in Österreich die Todesstrafe wieder eingeführt wird, aber ich wollte einen Extrempunkt setzen, damit man ganz klar sieht, was gerade alles auf dem Spiel steht. Sieht man sich beispielsweise an, was in den USA zurzeit passiert, merkt man, dass da doch einiges ins Wanken gerät.
LG: Es ist immer wieder von einem „großen Eingriff“ die Rede. Man kann das politisch als Staatsumbau deuten, aber auch ökologisch als ein Eingreifen in die Natur – Stichwort Geoengineering. Was ist das für eine Außenwelt, auf die das Stück reagiert?
FS: Die Welt des Stückes ist eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. Wir befinden uns heute schon in einer Zeit der multiplen Krisen. Es brennt an den unterschiedlichsten Ecken dieser Welt, seien das die demokratiepolitischen Krisen, die kriegerischen Auseinandersetzungen oder die Klimakatastrophe. Trotzdem wird, zumindest im Westen, auf Biegen und Brechen an einem Business-as-usual festgehalten. Das Stück macht einen Schritt weiter. Was wäre, wenn global etwas verheerend schiefgeht, etwas, das die allgemeine Ordnung kippt. Ich habe beim Schreiben gemerkt, dass, je konkreter ich diese Katastrophe zeichne, das Stück an Parabel-Charakter verliert. Wir sehen also eher die Folgen, die Verrohung, aber nicht, was genau es ausgelöst hat, es geht um dieses „Danach“. Es gibt einen schönen Text von Jean-Luc Nancy, NACH DER TRAGÖDIE, in dem er unsere Gegenwart verortet in einer Zeit nach der Tragödie.
LG: Die Figuren im Club suchen nach Rausch, Ekstase, Entgrenzung – auch weil die Welt draußen von multiplen Krisen erschüttert ist. Ist Hedonismus für dich eine Form des Eskapismus, die auch etwas Tröstliches oder sogar Widerständiges haben kann?
FS: Das Spannende am Club als Raum ist, dass es ein Gegenraum ist, eine Heterotopie, wie Michel Foucault sagen würde, also ein Ort, der nach seinen eigenen Regeln funktioniert, an dem unsere Phantasmen den Boden der Realität berühren. Das Ambivalente am Club ist, dass er natürlich auch ein eskapistischer Ort ist, wo man sich im Dröhnen der Anlage versuchen kann, aus der Welt für eine Nacht zu verabschieden, aber gerade darin liegt auch ein Teil seiner Widerständigkeit. In Gegenden, wo die geopolitischen Krisen offen zutage treten, sind es die Clubs, die eine Brutstätte für den Widerstand sind, aber auch Safe Spaces, in denen sich die Gegenkultur zurückziehen kann vor den Zumutungen repressiver Regime.
LG: Der Henker wirkt im Stück eher unpolitisch. Er will, dass der Club läuft und offenbleibt. Kann man sich es überhaupt noch leisten, unpolitisch zu sein – oder ist das eine Illusion?
FS: Ist er das? Ich denke, dass das Stück diese Frage stellt. Ist es möglich, sein Ding zu machen, das ja, wie gesagt, ein Ort ist, wie der Club, der an sich schon etwas Widerständiges hat, ein wichtiger Ort der Gegenkultur. Aber ab wann kommt der Punkt, an dem die politische Großwetterlage ein Einfach-Weitermachen-wie-bisher verunmöglicht. Geht man dann an seinem eigenen Fatalismus zugrunde, oder gibt es da diesen Moment, ab dem eine solche Haltung zu schmerzhaft wird, weil die Opfer zu groß werden. Wo man merkt, dass das scheinbar Unpolitische gerade erst eine autoritäre Politik ermöglicht.
LG: Man könnte die Kanzlerin als Figur mit Zügen von Herbert Kickl lesen – nun ist sie bei dir aber eine Frau. Was interessiert Dich am Aufstieg rechter Frauenfiguren wie Giorgia Meloni, Marine Le Pen oder Alice Weidel – und verändert sich dadurch etwas an der Rhetorik und Inszenierung rechter Politik?
FS: Man könnte den Eindruck bekommen, dass es Frauen in rechten Parteien leichter haben, an die Spitze zu gelangen. Und man muss jetzt auch mal sagen, dass, wäre an der Spitze der FPÖ eine Frau in die Koalitionsverhandlungen gegangen, sie wahrscheinlich auch nicht über die eigenen Eitelkeiten gestolpert wäre wie Herbert Kickl. Was ich an diesen rechten Politikerinnen so spannend finde, ist ihre Widersprüchlichkeit. Es sind extrem toughe Frauen, die aber eine Politik vertreten, die vor falsch verstandener Männlichkeit nur so trieft, ja, die sie in ihrer eigenen Lebensrealität ja konterkariert. Eine derartige Gespaltenheit ist hoch theatral. Gerade dort, wo es kippt, wo ein Wutanfall, eine öffentlich zur Schau getragene Gekränktheit hinter die Fassaden blicken lässt, wird es spannend.
LG: Flo, die politischste Figur im Stück, geht am Ende den Weg der Gewalt – sie drängt die Kanzlerin mit deren eigenen Mitteln in die Ecke. Ist das eine tragische Konsequenz, ein Notwehrakt oder ein Spiegelbild der Hilflosigkeit der Linken im Umgang mit dem politischen Rechtsruck?
FS: Die Geschichte hat gezeigt, dass Attentate auf Staatsoberhäupter meist ins Chaos und politisch extrem unübersichtliche Zeiten geführt haben, weshalb auch oft nur aus Mangel besserer Optionen dazu gegriffen wurde. Trotzdem fasziniert uns die Frage, was wäre, wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre, hätte man dann eine Diktatur durch einen politischen Mord verhindern können. Oder anders gefragt: Belastet es das Gewissen mehr, an einem bestimmten Punkt nicht gehandelt zu haben, sich die Hände nicht schmutzig gemacht zu haben, sieht man erst die Folgen autoritärer Systeme? Das Ende des Stücks lässt da bewusst verschiedene Interpretationen offen, auch weil die Antworten auf diese heiklen Fragen aufs immer wieder Neue gegeben werden müssen.
von Ferdinand Schmalz
Regie: Stefan Bachmann
Mit: Mehmet Ateşçi̇, Stefanie Dvorak, Sarah Viktoria Frick, Melanie Kretschmann, Maresi Riegner, Max Simonischek, Thiemo Strutzenberger und Stefan Wieland
