MEHR: DIE KOPIEN
SEBASTIAN MCKIMM IM GESPRÄCH MIT DER PRODUKTIONSDRAMATURGIN SARAH LORENZ
Sarah Lorenz: Was sucht Salter deiner Meinung nach in der Begegnung mit seinem geklonten Sohn Michael Black am Ende des Stücks?
Sebastian McKimm: Salter sagt Michael Black, „Ich hatte gehofft ich weiß nicht etwas noch Persönlicheres etwas aus dem tiefsten Inneren deines Lebens.” Rein emotional betrachtet, sucht er für mich eine Kontinuität. Gibt es einen Kern, eine „Essenz” seiner Söhne, wodurch er seinen Verlust zähmen kann. Er ist somit ein Wissenschaftler der menschlichen Seele.
Das Stück reflektiert sehr viel über die Thematik von Schuld und Vergebung in nuancierter und sehr progressiver Art. Es erzählt uns dabei etwas über das tief verwurzelte Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden, als ein ethisch komplexes Feld, das sich nicht immer mit vollkommener Zufriedenheit auflöst, worüber man nicht schwarz-weiß denken kann. Mit Michael Black muss Salter sich nochmal mit seiner Ohnmacht konfrontieren, sowohl für die Situation, in der er sich befindet, als auch in der Fantasie, einen perfekten Sohn zu klonen, um seine schmerzhafte Vergangenheit neu zu schreiben und das Leben so zu erleben, wie er es will.
Es gibt einen Moment am Ende von FRANKENSTEIN, der mich sehr beschäftigt, wenn ich mich in dem Gedankenkosmos von DIE KOPIEN bewege. Am Ende kehrt das Monster zu seinem Schöpfer zurück und fordert die Anerkennung seiner Seele. Hier haben wir aber den Sohn, der den Narzissmus des Vaters nicht spiegelt. Michael Black sei anders als Salter oder die anderen Söhne und behauptet, er sei sogar glücklich, ohne zu sehr über sein eigenes Glück reflektieren zu müssen. Das klingt vielleicht oberflächlich, aber was das im Endeffekt wirklich bedeutet, muss etwas sehr Persönliches und Unerklärliches sein. Man bekommt es zu spüren, aber trotzdem scheint Salter es nicht zu wissen, weil er es irgendwie nicht wissen kann. Der Vater kann weder über diesen Sohn als Mensch urteilen noch über sein Glück und Unglück. Wobei man auch spürt, dass Salter hier den glücklichen „Fremden“ braucht, um endlich die Tiefen seines eigenen Unglücks greifbar zu machen.
SL: In dem Stück ist auffallend, dass es keine weiblichen Perspektiven gibt. Über die Mutter wird nur gesprochen, sie ist zudem in der Figurenwelt abwesend.
SM: Alle für die Erzählung wichtigen weiblichen Figuren sind aus der Handlung rausoperiert (durch Tod, Zufall oder werden gar nicht angesprochen) und existieren meist nur in einer verwaschenen und unklaren Vergangenheit. Obwohl das Zeugen der Klone natürlich ohne einen „Spenderkörper“ für die Schwangerschaft nicht möglich ist. Wir sind nicht mehr weit entfernt von dieser Vision einer patriarchalischen Techno-Dystopie, in der sogar die biologischen Reproduktionsprozesse weiblich gelesener Körper durch wissenschaftliche Eingriffe gezähmt werden können. Gerade als wir mit den Proben begannen, erschien ein Bericht über die erste erfolgreiche Androgenese (in diesem Fall Klonung mittels des genetischen Materials von zwei Spermien) in Mäusen.
Das Thema, welches deshalb für mich im Stück die interessantesten Reflektionen eröffnet, ist die existentielle Leere, die sich hinter der menschlichen (oft männlichen) Fantasie von Herrschaft über die Natur versteckt. Churchill hat hier ein sehr kühnes Auge, mit dem sie die archaischen Kämpfe von Mensch und Natur, Macht und Ohnmacht sowie Geschöpf und Schöpfer in eine reine Männerwelt hineinschreibt.