PROLOG
von Claus Philipp
„Stell Dir vor, es geht das Licht aus“
„Was machen Sie denn dieser Tage?“ „BURGTHEATER.“ „Ja, aber welches Stück?“ – Mit Missverständnissen dieser Art war man in den letzten Monaten als Teammitglied von Milo Raus Adaption von bzw. nach Elfriede Jelineks „Posse mit Gesang“ BURGTHEATER häufig konfrontiert. Teilweise lag es an der ungeheuren Verspätung von 40 Jahren, mit der dieser Text nun endlich in Wien zur Aufführung kommt. Teilweise wohl auch daran, dass das „Skandalstück“, für das Jelinek Mitte der 1980er als „Nestbeschmutzerin“ abgestraft und angefeindet wurde, schon damals nicht wirklich gelesen worden war. Wesentlich war für die tobenden Medien, die links und rechts und aus der boulevardesken Mitte das Forum für den „größten Theaterskandal der 2. Republik“ boten, lediglich: Jelinek hatte die Schauspieler:innen Paula Wessely sowie Attila und Paul Hörbiger für deren Beteiligung an NS-Propaganda-Machwerken kritisiert. Mehr noch: Sie hatte Publikumslieblinge als Mittäter:innen und Schießbudenfiguren wie in einem dämonischen Kasperltheater bloßgestellt.
Aus heutiger Perspektive ist klarer erkennbar, dass die damalige Empörung sich keinesfalls nur aus divergierenden Sichtweisen zu braunen Flecken in österreichischen weißen Westen speiste. Es ging ganz konkret um einen veritablen Kampf zwischen Hoch- und Pop-(wenn man so will: Punk-)Kultur. Als „für Österreich beschämendes Machwerk“ war 1977 schon die von Franz Novotny und Otto M. Zykan für den ORF inszenierte Staatsoperette, eine wilde Verhöhnung idyllischer Austriazismen, bigotter katholischer Frömmelei und unverdrossener NS-Verharmlosung gegeißelt worden. Der Filmemacher Ernst Schmidt Jr. hatte in seinem Trashfilm DIE TOTALE FAMILIE Heimito von Doderers MEROWINGER 1981 recht drastisch durchs „Wiener Blut“ gezogen. Und DIE AUSGESPERRTEN (1983), eine heute legendäre Kollaboration von Franz Novotny und Elfriede Jelinek nahm geradezu prophetisch die Analyse vorweg, dass das Schweigen der Täter möglicherweise ein Vakuum erzeugt, in dem die Nachfolgegenerationen bizarr gewalttätige Formen der Selbstvergewisserung pflegen.
BURGTHEATER war da gewissermaßen nur ein Tropfen Öl in die bereits explosiv aufgeheizte öffentliche Stimmung, in der Bildungsbürger zwar unverdrossen weiter behaupteten, dass die Burg-Bretter die Welt bedeuteten, eine jüngere verdrossene Generation aber trotzdem lieber dem Aktionismus und den Sprachverdrehungen der Wiener Gruppe frönte. Mochte Paul Hörbiger im Samstagnachmittags-Fernsehen bei Ausstrahlungen von Franz Antels HALLO DIENSTMANN immer noch wiederholt STELL DIR VOR, ES GEHT DAS LICHT AUS singen: BURGTHEATER, das war gewissermaßen die Starkstromgitarre, wegen der der soziale und politische Sicherungskasten durch die Decke flog. Und es ward finster! Für manche war es noch einmal „gut gegangen, nix ist geschehen“, wie man hierzulande sagt, aber weitere gesellschaftliche Beben wie später die Waldheim-Affäre waren absehbar.
Die Tatsache, dass Elfriede Jelineks „Posse“ bis heute nicht zum kultiviert abzufedernden Klassiker taugt, kommt dem Schweizer Theater- und Filmemacher Milo Rau sehr entgegen: Nachdem er und das Ensemble in einer „Urlesung“ von BURGTHEATER der sprachlichen Meisterschaft Jelineks Rechnung trugen, bettet seine Inszenierung, nach Jelinek, den Text in einen Kontext ein, in dem BURGTHEATER wirklich zum Burgtheater und zum Theater als Welt-Abbild wird. Auf der immerfort sich weiterdrehenden Szene folgen Kantine auf Garderobe auf Star-Galerie auf Bühne. Und irgendwo hat sich vielleicht Elfriede Jelinek versteckt, immer abwesend und gleichzeitig abrufbar. Es wird beispielsweise auch ihr zweiter dramatischer Text zu Paula Wessely, ERLKÖNIGIN, zitiert. Wenn Milo Rau in seinem zweiten Jahr als Intendant der Wiener Festwochen die Institution Burgtheater als repräsentative Staatsbühne in größeren innenpolitischen und historischen Verwerfungen verortet, dann tut er dies weniger im Dienste der Institution denn als Experimentator, der Lesarten und Instrumentalisierungen von Kunst, Kultur, Theater aufeinanderprallen lässt und das Leitbild BURG dabei als Reibefläche und Echoraum nutzt.
Das hier angemessen ausführlich präsentierte digitale Programm versucht, dem auf verschiedensten Ebenen Rechnung zu tragen, quer durch alle Schauplätze des Stücks: Ein Gespräch zwischen Jelinek und Rau steht da neben einem Essay zu gegenwärtiger Suche nach Burg-Leitbildern von Klaus Dermutz. Markus Edelmanns Alphabet JELINEK LESEN LERNEN kommuniziert mit Essays der Nobelpreisträgerin, in denen sie sich mit Sprache, Schauspiel, Komik und natürlich mit dem Burgtheater auseinandersetzt. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf Jelineks Websites www.elfriedejelinek.com und original.elfriedejelinek.com: In großzügigster Reichhaltigkeit sind hier Essays und Notate und Stücke versammelt – darunter übrigens auch EIN ÜBERTRITT, ein „Gedicht“, aktuell verfasst zur Beendigung des 2. Weltkriegs vor 80 Jahren. Höchste Empfehlung!