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Licht, Schatten und Bedrängnis

Bilder vom Theater
Lesedauer 7 Minuten

Für ihre Inszenierung von DIE VERWANDLUNG arbeitete die Regisseurin Lucia Bihler mit der Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert zusammen, um eine ästhetische Welt zu erschaffen, in der man Franz Kafkas berühmte Erzählung neu und eindringlich erleben kann. Inspiration fand das Team bei dem expressionistischen Maler Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), dessen Bilder für die Bühne Modell stehen. Wie die Verwandlung einer Malerei in einen dreidimensionalen, bespielbaren Raum zu Stande kam, erzählt uns Pia Maria Mackert im Gespräch.

Bild: Pia Maria Mackert
© Pia Maria Mackert
Ein Gespräch mit Pia Maria Mackert, geführt von Jeroen Versteele.
BURGTHEATER Was ist dir als Erstes in den Sinn gekommen, als Lucia Bihler dich gefragt hat, die Bühne für DIE VERWANDLUNG zu machen? Was waren deine ersten Assoziationen?
PIA MARIA MACKERT Das allererste Bild, an das ich nach dem Lesen der Erzählung DIE VERWANDLUNG denken musste, war das Schlafzimmer in Arles von Vincent van Gogh. Gregor kommt zunächst gar nicht aus seinem Bett heraus. Seine Mutter und Schwester räumen im Laufe der Geschichte die weiteren Möbel weg, Gregor bleibt nur noch sein Bett. Lucia Bihler und ich haben uns darüber hinaus unendlich viele expressionistische Bilder angeschaut und sind bei dem Bild „Zwei Mädchen im Salon“ von Ernst Ludwig Kirchner hängengeblieben. Wir mochten die knalligen Farben, die ja nicht nur schön, sondern auch bedrängend, fast aggressiv sind. Auch die Enge des Raums hat uns sofort angesprochen.
Was kannst du noch über die Farben dieser Malerei sagen? Gibt es Elemente in den Farbkombinationen oder Farbqualitäten, die besonders interessant sind?
Kirchner hat äußerst starke komplementäre Kontraste genutzt, insbesondere zwischen Decke und Boden in den Farben Grün und Rot, welche ich bei der Gestaltung der Bühne übernommen habe. Das Übertragen der übrigen Farben auf die Bühne erforderte ein intensives Umdenken, da zum Beispiel ein Lila aufgrund von Lichtreflexionen auf Holz nicht mehr als Lila erscheint, sondern als Holzfarbe wahrgenommen wird. Beim genauen Betrachten sieht man, dass Kirchner die Farben extrem intensiviert hat, als Ausdruck seiner subjektiven Wahrnehmung, sie erscheinen nahezu grell. Bei der Übertragung dieses Bildes in den dreidimensionalen Raum mussten wir die gesamte Komposition auseinandernehmen und neu zusammensetzen. Im Malersaal des Burgtheaters haben wir die Wände mit unzähligen Schichten gestrichen, um nicht nur einen, sondern zahlreiche Farbtöne zu erzeugen, die übereinander liegen, Ablagerungen bilden und eine einzigartige Leuchtkraft erzeugen. Die bewusste Verwendung von Licht und Schatten ist entscheidend, um die Farbflächen interessant zu gestalten. Einzelne Farbschichten in den Ecken erzeugen unterschiedliche Nuancen, wobei das Licht in Gelb auf den Boden fällt und in den Ecken wieder in Rot übergeht. Auch bei den Türen ist zu sehen, dass dort, wo Licht einfällt, ein helles Blau entsteht, während schattige Bereiche dunkelblau erscheinen.
Im Raum hängen noch zwei andere Bilder von Kirchner, aber in abgewandelten Versionen. Warum? Und wie bist du bei der Abwandlung konkret vorgegangen?
Tatsächlich wollte die Regisseurin zwei Bilder im Raum haben. Obwohl in Kafkas Text eigentlich nur ein Bild im Raum hängt – die „Dame im Pelz“ –, entschieden wir uns für ein zusätzliches Familienbild, um Gregors Beziehung zu seiner Familie zu verdeutlichen. Ich habe Kirchners Bild „Kaffeetisch“ aus dem Jahr 1923 ausgewählt. Auf diesem Gemälde sind zwei Kinder, im Vordergrund ein mit dem Rücken zugewandter Mann und rechts und links zwei Frauen zu sehen. Die Herausforderung bestand darin, diese Darstellung mit einem Zeichenprogramm so zu bearbeiten, dass wir genau das erhielten, was wir uns als ideales Familienbild im Stil Kirchners vorgestellt hatten.
Und wie sieht dieses Idealbild aus?
Wir hatten vor, eine Familienabbildung von Gregors Familie zu erstellen. Dabei war es uns wichtig, dass die gesamte Familie schwarze Haare hat, obwohl die Kinder im Original blond sind und andere Kleidung tragen. Der Junge auf dem Bild, der eigentlich sehr jung ist, wurde durch eine Figur aus einem anderen Kirchner-Bild ersetzt. Auch das Mädchen, das ich eingefügt habe, stammt aus einem anderen Werk von Kirchner und ist eines seiner Lieblingsmotive: Fränzi Fehrmann, ein Mädchen, das er unzählige Male porträtiert hat und eine Muse der Expressionisten war. Wir wollten das Bild zudem ruhiger und geordneter gestalten, um es klarer in Bezug zu setzen zu dem, was die Zuschauer*innen auf der Bühne sehen. Zum Beispiel trägt Gregor auf der Bühne einen orangefarbenen Frack, also sollte er auch auf dem Bild einen solchen tragen. Gleiches galt für die Mutter, die eine gelb-orange Bluse trägt. Ihre Frisur habe ich an die von Victoria Behr entwickelten Frisuren angepasst. Unser Ziel war es, eine harmonische Verbindung zwischen dem Bühnenbild und dem Bild auf der Leinwand herzustellen.
Was zeichnet für dich ein gelungenes Bühnenbild aus?
Diese Frage ist sehr komplex. Im Gegensatz zu Werken der bildenden Kunst ist ein Bühnenbild nicht singulär, sondern es existiert im Kontext einer Inszenierung. Es vereint Regie, Kostümbild, Choreografie, Klang und auch Video. Wenn all diese Elemente harmonisch miteinander verschmelzen und eine kohärente Einheit bilden, wenn sich alles zu einem sinnvollen Ganzen fügt, insbesondere dann, wenn das Bühnenbild Fragen aufwirft, wenn es also das Publikum dazu inspiriert, nachzudenken oder nachzufragen, wenn Gedanken und Gefühle ausgelöst werden – dann empfinde ich es als gelungen.
Porträt Pia Maria Mackert
Pia Maria Mackert
© Birgit Hupfeld

Pia Maria Mackert

ist seit 1993 als Bühnen- und Kostümbildnerin in Schauspiel und Oper tätig. Sie arbeitete am Hamburger Schauspielhaus, an der Oper und dem Schauspiel Frankfurt, dem Nationaltheatret Oslo, dem Theater Basel, dem Staatsschauspiel Dresden, an den Staatstheatern in Darmstadt, Hannover und Karlsruhe, den Theatern Freiburg, Wuppertal und Bonn, am Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Nationaltheater Mannheim sowie am Theater Dortmund. 2014 war sie für den Faust-Preis in der Kategorie Ausstattung nominiert und 2021 für den Nestroy-Preis für ihr Bühnenbild zu Thomas Bernhards Stück DIE JAGDGESELLSCHAFT, das Lucia Bihler am Akademietheater inszenierte.

Infos zu den Stücken
Element 1 von 2

Die Verwandlung (The Metamorphosis)

Akademietheater
nach Franz Kafka in einer Fassung von Lucia Bihler und Jeroen Versteele
Element 2 von 2

Die Jagdgesellschaft

Akademietheater
Thomas Bernhard
Magazin #17: Zukunft

Fritsch am Zentralfriedhof

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Austrian Gangstersound

Playlist
#8: Playlist von MING zum Stück CYPRESSENBURG

Licht, Schatten und Bedrängnis

Bilder vom Theater
Ein Gespräch mit Pia Maria Mackert zu Kafkas VERWANDLUNG, geführt von Jeroen Versteele.

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Anlässlich einer Premiere in Wien im Jahr 1976 hat Tennessee Williams im Hotel Imperial ein Interview gegeben, das wir als Fundstück präsentieren.

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Grotesk, gewalttätig, genial: Mit diesen Attributen wird das Werk von Martin McDonagh oftmals beschrieben, sein Stück DER EINSAME WESTEN feiert am 22. März 2024 im Akademietheater Premiere. Ein Portrait des Autors von Tamara Radak.

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Interview
Brauchen wir eine Aufklärung der Aufklärung? Die beiden Premieren IPHIGENIE AUF TAURIS und DER GROSSINQUISITOR waren Anlass, uns mit dem renommierten Germanisten und Kulturwissenschaftler Helmut Lethen zu unterhalten.

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Interview
Ein Gespräch mit Oliver Rathkolb über Thomas Bernhards HELDENPLATZ und eine europaweite Demokratie-Studie.

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