Dieser Bereich ist nicht für Screenreader und Tastatur-Bedienung optimiert. Der Bereich stellt einen Ausschnitt des Spielplans dar. Der Spielplan kann über das nächste Element oder über die Navigation erreicht werden.

VEZA

Anlässlich des Internationalen Frauentages möchten wir am 8. März im Burgtheater mit der Lesung von „Die gelbe Straße“ an die große österreichische Autorin erinnern. Es liest Klaus Maria Brandauer. 

 

Schriftzug VEZA auf einer Hauswand.
© Projektion von "VEZA fehlt" con  N.Deewan, G.Moser-Wagner, Foto: Gertrude Moser-Wagner

Von der Unantastbarkeit des Menschen auch in seiner größten Gefährdung erzählt DIE GELBE STRASSE von Veza Canetti – so umschrieb ihr Ehemann Elias den Band, der erst lange nach Vezas Tod publiziert wurde. Darin entwickelt die Autorin anhand Erzählungen von Bewohner*innen der gelben Straße ein Zeit- und Gesellschaftsbild eines jüdischen Viertels im Wien der 1930er Jahre. Hier lesen Sie das Vorwort, Elias über Veza. 

VEZA 


von Elias Canetti


Die Bücher, die ich bis zum Jahre 1980 schrieb, mit einer einzigen Ausnahme, sind Veza gewidmet. Zu ihren Lebzeiten, als es noch wenige waren, hätte sie das nicht geduldet. Sie starb 1963, und ich holte nach, was sie verhindert hätte. Alles Frühere, das wieder erschien, alles Neue, auch Übersetzungen in fremde Sprachen, tragen vorne ihren Namen. Ich wollte damit das überwältigende Maß an Dankbarkeit ausdrücken, das ich ihr schulde.
Mit zwanzig, als ich sie kennenlernte, war ich in einem häuslichen Kampf begriffen, der mich an den Rand des Wahnsinns brachte. Ohne sich selbst zur parteiischen Kämpferin in diesem Zwist zu degradieren, hat sie mich durch ihr bloßes Dasein daraus errettet. Um der hitzig abgründigen Gespräche willen, die wir führten, nahm sie die schlechten Gedichte ernst, die ich ihr während einiger Jahre brachte. Sie wußte es besser und nahm sie doch ernst, so sicher war sie, daß anderes nachkommen würde. Als es dann kam, erschrak sie, denn es drohte uns zu zerstören: sie, mich selbst, unsere Liebe, unsere Hoffnung. Um sich nicht aufzugeben, begann sie selber zu schreiben, und um die Geste des großen Vorhabens, die ich brauchte, nicht zu gefährden, behandelte sie ihr Eigenes, als wäre es nichts.  
Veza hatte Bewunderung für abseitige Naturen. In den Geschichten, die sie während der nächsten Jahre schrieb, kamen solche Menschen oft vor. Meist waren es Opfer, solche, denen von anderen Unrecht geschah, Hilflose, Verstümmelte, wenig Geschickte, am liebsten aber schrieb sie von Frauen, die im Dienst an anderen oder in einer schlechten Ehe zugrundegingen. Solche Opfer verherrlichte sie, indem sie ihre Schönheit glaubhaft machte, und obwohl kein einziges dieser Geschöpfe ihr selbst nachgebildet war, obwohl keines von ihnen ihr auch im Geringsten nur glich, war es doch, als hätte sie sie immer um einen gleichen Kern, den ihrer eigenen Unantastbarkeit, geformt. 
Zwei Hauptgesinnungen waren es, die Veza im Widerstreit gegen ihre Schwermut am Leben erhielten: die eine war ein Glaube an Dichter, so, als wären es eigentlich diese, die die Welt immer neu erschafften, als müßte die Welt verdorren, sobald es keine Dichter mehr gäbe. Die andere war die unerschöpfliche Bewunderung für alles, was eine Frau vorstellen kann, wenn sie es verdient, eine zu sein. Schönheit und Reiz gehörten nicht weniger dazu als Stolz und eine andere Art von Klugheit als die übliche, von Männern vertretene, die die in der Welt herrschende geworden war. Ihre Überzeugungen waren nicht weit von solchen entfernt, wie man sie heute vielfach und militant unter Frauen findet, aber sie hatte sie damals. (…) Eine Dienerin, die es aus Liebe für die war, denen sie diente, stellte sie so hoch, daß sie für ihre Schriften als Pseudonym Veza Magd wählte. Es stand für Hingabe in jeder Form; für den Geliebten, für Schutzbefohlene, aber auch für solche, die durch ihre Geburt oder durch die Niedertracht anderer benachteiligt waren. Es war hinreißend, sie zu sehen, wie sie vom einen ins andere wechselte, wie ihre biblische Lobpreisung in nicht weniger biblischen Zorn umschlug. 
Ihre Parteilichkeit für Frauen hatte nichts von den räuberischen Zügen männlicher Herrschsucht. Sie schlug sich nicht etwa von einer Seite auf die andere, das Unrecht, das sie anderen vorhielt, nahm sie nicht, wie es unter Zeloten üblich ist, für sich und irgendwelche eigenen Zwecke in Anspruch. Alles was sie tat, war, im Gegenteil, daß sie höhere Ansprüche an Frauen stellte, weil sie so hoch von ihren Möglichkeiten dachte. 
Es ist unnatürlich, daß heute über Vezas Schreiben nichts bekannt ist. Sie hat gleich gut begonnen, sie schrieb mit Witz und Schärfe. Ihre Erzählungen, obschon sie von Mitgefühl für benachteiligte Menschen diktiert schienen, waren zu knapp und zu scharf, um sentimental zu wirken. Sie hatte Heines Witz und war von seiner Prosa beeinflußt. Sie mochte kurze, pointierte Sätze, ihr Stil war aphoristisch, selbst in ihren Erzählungen war unverkennbar, was sie am liebsten las. Sie, die Leidenschaft und Überschwang für viele hatte, trachtete danach, im Schreiben möglichst wenig davon merken zu lassen. (…)
Die Erzählungen, die heute die ‚Gelbe Straße‘ ausmachen, erschienen ursprünglich in Fortsetzungen in der Wiener ‚Arbeiter-Zeitung‘. Diese Zeitung war nicht nur von Bedeutung als das Organ der Partei, die Wien regierte und auf neuartige und ideenreiche Weise verwaltete. Sie galt damals auch als die bestgeschriebene Zeitung Wiens. Vezas Erzählungen fanden großen Anklang. Während das Bild der Straße mit jeder von ihnen reicher und lebendiger wurde, überkam sie die Lust, sie zum »Roman einer Straße« zusammenzufügen. Das ist ihr mit geringfügigen Änderungen gelungen. Doch durch die Februar­Ereignisse des Jahres 1934 wurde das Erscheinen des Buches unmöglich. 
Heute, zu meiner Freude, sehe ich, daß es Kenner gibt, die diesem Buch Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wer jene Zeit vor sechzig Jahren in Wien erlebt hat, findet sich wieder in ihr wie in keinem anderen Buche. Daß schwere Dinge sich so leicht und schwebend sagen lassen daß sie dadurch dringlicher werden, ist eine Überraschung. Ich glaube, die ‚Gelbe Straße‘ ist nicht nur ein Zeugnis. Sie besteht auch für sich zu Recht. Sie handelt - verborgen - von der Unantastbarkeit des Menschen auch in seiner größten Gefährdung.


Die gelbe Straße. Auszug aus dem Vorwort von Elias Canetti.

 

Die Kurzgeschichten aus DIE GELBE STRASSE erschienen ursprünglich – sehr erfolgreich! – in der Arbeiter-Zeitung. Eine Buch-Publikation wurde zunächst durch die Ereignisse des Jahres 1934 verunmöglicht und später durch den "Anschluss" Österreichs und die Emigration der Canettis nach London verhindert – beide hatten sephardisch-jüdische Wurzeln.

Veza Canetti wurde 1897 in Wien, damals noch Österreich-Ungarn, als Venetiana Taubner-Calderon geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete sie als Privatlehrerin und Übersetzerin, Englisch, Französisch und Italienisch brachte sie sich selbst bei. Veza verkehrte im Kreise um Karl Kraus und publizierte meist unter Pseudonymen. Für den um acht Jahre jüngeren Elias Canetti, den sie 1934 heiratete, gab sie das Schreiben weitgehend auf und wurde literarische Ratgeberin und Lektorin ihres Mannes. Die Ehe galt dennoch, nicht zuletzt wegen Elias Canettis Affären, als schwierig. Zum literarischen Schaffen seiner Frau hat er sich bis auf wenige Ausnahmen selten geäußert. 

In der Ferdinandstraße 29, in der Veza Canetti lebte und die ihr Vorbild für DIE GELBE STRASSE war, erinnert heute eine Gedenktafel an die Schriftstellerin.

Veza Canetti
© Veza Canetti
Klaus Maria Brandauer Liest VEZA CANETTI

Wien in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts: Die Straße der Lederhändler und ein Kosmos der jüdischen Welt. Veza Canetti schreibt mit zärtlicher Anteilnahme und bissigem Spott über diese Straße, in der sie selber gelebt hat.

Zum Weltfrauentrag erweist Klaus Maria Brandauer Veza Canetti die Referenz und liest aus den Erzählungen der 1897 in Wien geborenen Autorin. Am Klavier begleitet ihn Arno Waschk.

Lesung am 08.03. um 20:00, Burgtheater

Zurück nach oben