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2 Nestroys für Adern

Mit zwei Nestroys wurde ADERN bei der Nestroy-Gala am 13. November 2022 ausgezeichnet.  Sarah Viktoria Frick wurde mit dem Nestroy für BESTE SCHAUSPIELERIN für ihre Rolle als Aloisia ausgezeichnet. Lisa Wentz erhielt für ihr Stück den Nestroy Autor*innenpreis.

Hier lesen Sie die Laudatio von David Bösch für Lisa Wentz:

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Mitglieder*innen der Nestroy-Jury,
sehr geehrte Frau Stepan,
liebe Lisa,
Poesie und Politik,
Dialog und Diskurs,

Dramatik oder Dokumentation – Zwischen diesen Spannungsfeldern bewegt sich das zeitgenössische Drama, der Theatertext von heute.

Viele kluge und viele unkluge Gedanken sind dazu gesagt oder zumindest gedacht worden – über die Krise des Theaters, die Krise des Theatertextes.

Und da fängt das Besondere der Autorin, das Besondere ihres Stücks „Adern“, ihres Schreibens auch schon an. Sie schreibt einen Text, schreibt die Worte, die ihre Figuren sagen (ungewöhnlich genug) und sie schreibt vor allem die Worte, die ihre Figuren nicht sagen.

Die Stille, das Schweigen, das Unaussprechliche, das Un- und Vorbewusste. Das, was unter dem Berg, was unter der Oberfläche verborgen ist.

Da ist etwas, das brodelt und schreit in den Menschen, die in ihrem Stück leben. Sogar in dem geschundenen Berg. Unhörbar für die anderen, umso schmerzhafter für sie selbst.

„kalter schweiß rinnt an meinen felsen hinab er schlängelt sich in bächen über meine haut und löst was ihr geschlagen habt eure wunden in meinem inneren euer tod schleicht durch meine adern“

Trailer: ADERN von Lisa Wentz | Akademietheater

Herta, die kinderlose Schwester aus der Stadt, Theres, die Tochter die weg will vom Berg und doch nicht wegkommt und Danzel, der alkoholkranke Mitwisser – oder Täter. Drei sind gefangen unterm Berg, gefangen in Schuld und Hoffnung, Traumata und Träumen.
Aber: „Aber so ist das Leben halt.“, wie es Aloisia sagt.

Es zieht vorbei, dieses Leben – „Dort wo das Erz begraben, dort wo der Tag nie scheint, dort wo die Knochen liegen, dort wo kein Himmel weint“ – nicht nur in Brixlegg 1953 nach dem Krieg, dem Schauplatz des Dramas, sondern überall. Zeitgenössisch und zeitlos zugleich. So schreibt sie, diese Lisa Wentz.

Und dann gibt es da noch Aloisia und Rudolf und ihre 5 Kinder. „Wenn Sturheit magst, wirds dir g‘fallen da.”, sagt Rudolf und sollte recht behalten. Es gefällt ihr mit einer Sturheit. Erst kam ihr Kaiserschmarren und dann die Liebe – so ist das nunmal in Österreich und irgendwie wohl auch in der ganzen Welt.

Dann die Hochzeit: „Ich wünscht, ich hätt dir ein Kleid … Oder einen Ring, einen schöneren.“ „Ist ja auch nur Zeug.“ „Das dann verstaubt.“ „Trotzdem wars schön.“

Aloisia legt sich zu Rudolf auf die Küchenbank. „Das ist aber nicht gemütlich“ „Nein. Aber so ist das Leben halt.“

Und Gott drückt ein Auge zu oder waren beide schon immer
geschlossen? “Du hörst mir wahrscheinlich nicht zu, oder? Das passt schon. Ich bin von dir auch enttäuscht, musst wissen.“, sagt Aloisia im einsamen Zwiegespräch mit Gott.

Das Leben nimmt so seinen Lauf: Die Kinder werden groß, ein Fernsehapparat schafft es sogar bis Brixxleg, Edi Finger jubelt für „seine Jungs“, nur Österreich ist noch immer das „erste Opfer in der Reihe der versklavten Staaten”. Das Leben ist kein ruhiger Fluss sondern ein steiniger Berg für die beiden. Nicht gerade, sondern ein auf und ab. Ein Ausflug in die große weite Welt – nach St. Pölten und viele, viele Kaiserschmarren später ist es dann auch schon soweit:

Ein “Luxuserholungs”-Urlaub am Wörthersee, sogar mit täglichem Eis und der Angoli – eine Art Fisch aus Norwegen – und schon hustet Rudolf ein letztes Mal den Staub der Vergangenheit aus der Lunge, der sein Leben lang da geklebt hat. Dann war das Leben
auch schon vorbei. Wie immer: viel zu schnell.

Und Rudolf, so herzzerreißend schroff und zart geschrieben und später grandios verkörpert von Markus Hering, nimmt sein Geheimnis mit unter die Erde.

Und dann „erfindet“ Lisa Wentz noch Aloisia, die sich und ihre Familie durchbringt, die liebt und ackert – beides in dieser unglaublichen Sturheit. Holz hackt, Kaiserschmarren macht und sich ab und zu – so alle paar Jahre – ein kleines Stückchen Schokolade gönnt.

„Es is schon gut, dass wir hier so vergessen werden.“, sagt sie einmal. Aber da hat sie nicht mit Lisa Wentz gerechnet, die ihre Figuren nicht ans Licht zerrt, sondern wie eine Archäologin – nur ohne diesen komischen Hut – sanft den Staub und Dreck abstreichelt und die Kanten, Risse und Wunden zum Vorschein bringt.

Aloisia mit glühenden Herzen gespielt von Sarah Frick. “Was bin ich denn für dich?”, fragt sie Rudolf einmal. Und wie immer hat er keine Worte, aber in der Stille, die die Autorin komponiert, liegt die ganze Antwort: „Alles“. Und Aloisia lächelt stur, wie es nur Aloisia vermag. „Alles“ – das sind diese Figuren spürbar auch für ihre Autorin, ihre Archäologin.

In der Begründung des Retzhofer Dramapreises heißt es: „Ihr Schreiben erinnert an Horváth und Fleißer.“. Danach sagt man, sagt frau im Theater immer: „Bisschen hoch gegriffen der Vergleich. Sie ist doch noch so jung.” Aber nein! Es stimmt halt einfach. Sie schreibt so. Sie ist jung und alt zugleich. Sie ist nicht nur ein Talent, sie ist eine große Autorin.

Und das sahen auch die Verantwortlichen des Retzhofer Dramapreises, des Burgtheaters und die Leiterin des Burgtheater Studio so und so setzten Intendant und Dramaturgie des Burgtheaters das Stück auf eine größere Bühne, besetzten es mit einer exquisiten Ensemble – sozusagen einer Premium-Martin-Kušej-Kaiserschmarren-Besetzung – und verschafften „Adern” somit die Aufmerksamkeit, die es verdient.

Und erlauben Sie mir bitte die abschließenden Worte. Vielleicht muss eine Autorin so sein wie ein Berg: Im Heute stehen und doch schon immer da gewesen sein. Zeitgenössisch und zeitlos zugleich. Alles sehen, das Lebendige und das Vergangene, über Jahrhunderte nicht sprechen und es dann ausspucken.

Und wenn das so zart passiert, wie das dir, liebe Lisa, in diesem Stück gelingt, mit so viel heißem Atem und warmem Herz, dann entsteht etwas Großes, weil – auch das Große kann klein und zart sein – so wie dein Stück „Adern“ Poesie und Politik, Dialog und Diskurs, Drama und Dokumentation vereint. Alles in einem. Das ist also möglich. Das kann nur Theater. Manchmal. Dir ist es gelungen.

Ich gratuliere dir zu diesem Preis, mögen viele weitere folgen. Viele Preise, viele Worte, noch mehr Nicht-Worte. Und ich hoffe, dass ich ab und zu eines davon inszenieren kann.

Herzlichen Glückwunsch, Lisa Wentz.

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